Die Stunde Der Toechter
bis er einen Ersatz gefunden hatte. Derzeit ging er in der Nähe der Regionalwache Aussersihl zu einem Kurden. Der war schnell und hatte faire Preise. Auf dem Strich hingegen purzelten die Einkünfte in die andere Richtung. Freilich nur jene der Huren. Das Angebot war zu groß. Aus Osteuropa wurden junge Romamädchen angeschleppt, die den alteingesessenen Frauen das Wasser abgruben. Die ungarischen Clans hatten das Geschäft fest im Griff. Da bekam niemand einen Rappen ab. Es war nur eine Frage der Zeit, bis jemand abgestochen oder niedergeschossen wurde. Dessen war sich Köbi sicher.
Er hörte die Spülung rauschen. Kurz darauf kam sie aus dem Bad und kämmte sich die Haare. Eine Schönheit war sie noch nie gewesen. Trotzdem gefiel sie ihm.
»Was glotzt du denn so? Man könnte meinen, wir seien verheiratet.«
Köbi lächelte. Er klaubte seinen Kamm aus der Gesäßtasche und ging ins Bad. Sorgfältig striegelte er seine Haare nach hinten, bis sie glatt an der Kopfhaut klebten. Als er zurück in das Schlafzimmer kam, zwängte sie sich gerade in ihr Latexkorsett. Er stellte sich hinter sie und zog ihr am Rücken den Reißverschluss hoch. Im Spiegel deutete sie ihm Küsse an. Er ging zur Tür und nahm seine Lederjacke vom Haken. Neben der Garderobe lag eine Packung Valium auf einem Marmortischchen. Daneben ihre Visitenkarten. Lulu d’Amour. Das brachte ihn jedes Mal zum Grinsen. Seit einer Ewigkeit kannte er ihren bürgerlichen Namen. Trotzdem war sie Lulu für ihn.
»Tschüss. Bis nächste Woche.«
Köbi erntete ein Kilo Luftküsse. Dann öffnete er die Tür und trat ins Treppenhaus hinaus.
Als er bereits auf dem nächsten Absatz angelangt war, öffnete sie noch einmal die Tür. »Köbi, Schatz? Sei so lieb und deponier das hier im Hinterhof.« Sie streckte ihm einen Müllbeutel entgegen.
Er ging wieder nach oben und holte ihn. Diesmal gab es einen richtigen Kuss auf die Wange.
Er nahm zwei Treppenstufen auf einmal und trat in den Abend hinaus. Es war noch hell. Und heiß. Den Müll schmiss er in den Container im Hof. Dann lief Köbi auf die Straße. Die Tramstation war gleich auf der anderen Seite. Er ging hinüber und zündete sich eine Zigarette an. Nach dem vierten Zug kam das Tram. Fluchend schmiss er die Kippe weg. Eine Dame schaute ihn böse an. Er ließ sie zuerst einsteigen.
Als er einen Fuß auf die erste Stufe setzte, wurde er von innen beiseitegeschubst. Ein Mann in einem Unterhemd sprang heraus. Er war groß und muskulös. Am Kopf hatte er blaue Flecken und mehrere Pflaster. Köbi stieg ein und schaute ihm nach. Der Mann trug eine blaue Trainingshose und Flip-Flops. Köbi hatte ihn schon einmal gesehen. Als die Türen gerade geschlossen wurden, drückte er sie nochmals auf und sprang aus dem Tram hinaus. Der Fahrer zeigte ihm den Vogel. Der Mann im Trainingsanzug ging normalen Schrittes weiter. An seinem rechten Unterarm hatte er einen weißen Netzverband, aus dem zwei Schläuche heraushingen. Die linke Hand war geschient.
Schlagartig war Köbi klar, wen er vor sich hatte. Den Kerl hatte er auf einem Fahndungsfoto gesehen. Wenn man einmal Personenfahnder gewesen war, hatte man für immer ein Gedächtnis für Gesichter. Das war einer der beiden Killer, die Stämpfli entführt hatten. Das Universitätsspital war nicht weit weg. Von dort musste er geflohen sein. Fieberhaft suchte Köbi sein Handy. Erfolglos. Er klopfte seine Jacke ab. Nichts. Und seine Dienstwaffe befand sich sicher versorgt zu Hause. Schließlich war Sonntagabend.
Es blieb ihm nichts anderes übrig, als den Mann zu verfolgen. Dieser wechselte die Straßenseite. Köbi zögerte. Er konnte sich nirgends verstecken. Es war nur eine Frage der Zeit, bis er entdeckt würde. Der andere ging unentwegt weiter. Also überquerte er ebenfalls die Straße.
Als er das gegenüberliegende Trottoir betrat, drehte sich der Mann um und rannte auf Köbi los. Dieser konnte dem ersten Schlag gerade noch ausweichen. Der zweite traf ihn in den Solarplexus. Köbi sackte zusammen. Der andere nahm ihn in den Schwitzkasten und klemmte ihm die Luft ab. Köbi versuchte, ihn zu treten. Mit den Ellbogen zu schlagen. In die Augen zu stechen. Seine Haare zu krallen. Zwischen die Beine zu greifen. Es nützte alles nicht. Der Killer parierte jede Gegenwehr. Stetig drückte er Köbi den Adamsapfel in den Hals hinein. Nach und nach gab Köbi auf. Es war ein furchtbares Gefühl.
Auf einmal vernahm er wildes Geschrei. Das Rauschen des Blutes in seinen Ohren war so
Weitere Kostenlose Bücher