Die Stunde der toten Augen
Einsatz macht. Es wird ein harter Einsatz, das weiß ich jetzt schon, und es werden harte Männer gebraucht, keine Waschlappen. Ihr habt lange Ruhe gehabt, und die Knochen sind eingerostet. Unterwegs brauchen wir aber anständige Knochen, und die werde ich euch heute noch schnell machen, bevor es abgeht. Harte Knochen und eine starke Lunge. Wenn ihr die nicht habt, werdet ihr drüben liegenbleiben, und keiner kann euch helfen. Ihr werdet mir noch dankbar für das sein, was wir heute machen. Und wenn sich einer über die Behandlung beschweren will, dann soll er das schriftlich tun und bei mir abgeben. Ich leite es an den Kompaniechef weiter. Der früheste Termin, eine Beschwerde abzugeben, ist übermorgen abend. Noch Fragen?"
Der Russe übersetzte gedämpft. Timm wartete, bis er damit fertig war. Dann sagte er ruhig: „Stahlhelm auf. Handschuhe aus. Laufschritt..."
Er ließ sie im Kreis laufen. Nach einer halben Stunde setzte er zum erstenmal das Fernglas an und betrachtete ihre Gesichter. Es war neun Uhr. Er ließ die Gasmasken aufsetzen.
Zado murmelte, während er die Maske umband, zu Bindig, der neben ihm stand: „Bis zum Mittagessen sind wir fertig."
Timm ließ sie mit aufgesetzten Masken durch den Schnee kriechen. Er achtete darauf, daß sie immer durch frischen, unberührten Schnee krochen, der noch nicht festgetrampelt war. Er erwischte nacheinander drei, die ihre Gasmaskenfilter gelockert hatten. Es waren zwei Russen dabei. Er bestimmte drei andere, unter ihnen auch Bindig, und befahl: „Ihr seid verwundet." Dann ließ er die Männer, die ihre Filter gelockert hatten, um besser Luft zu bekommen, die drei anderen auf den Rücken nehmen und tragen. Der erste brach nach zwanzig Schritten zusammen, aber er raffte sich wieder auf und schleppte seine Last weiter. Nach weiteren zwanzig Schritten torkelte er gegen einen anderen, und sie stürzten in den Schnee. Der dritte blieb keuchend bei ihnen stehen und setzte seine lebende Last ab.
Timms Stimme war in diesem Augenblick wie die eines keifenden Weibes. Er ließ die anderen eine Pause machen und hetzte die drei mit den Gasmasken hinunter zum Fluß.
Das Wasser war dick gefroren, es hatte darauf geschneit, und es war wieder gefroren. So bestand die Oberfläche aus rauhem, körnigem Eis, dessen Risse und Kanten messerscharf waren. Timm blieb am Ufer stehen, die Trillerpfeife im Mund, die Hände hinter dem Rücken. Er kniff die Augen zusammen, und dann hetzte er die drei Männer über das Eis. Er gab keine Kommandos mehr, er pfiff nur noch, ohne die Hand an die Trillerpfeife zu legen. Pfiff er einmal, so bedeutete das für die Männer, daß sie zu laufen hatten. Pfiff er zweimal, hatten sie sich hinzuwerfen und vorwärts zu kriechen. Timm pfiff in regelmäßigen Abständen von einer halben Minute. Um zehn Uhr waren die Kombinationen der drei Männer an den Knien und an den Ellenbogen zerfetzt. Timm kommandierte: „Achtung!" Er ließ die Männer ein paar Minuten auf dem Eis stehen. Sie schwankten.
„Los!" sagte Timm zu den anderen. „Das Kommando heißt ,Unsichtbar machen'." Er wies ihnen ein Stück der ebenen Schneefläche zu, an die sich im Westen der Wald anschloß.
„Einzeln unsichtbar machen. Die Maschinenpistole muß auf meine Gestalt hier am Ufer zielen, der Mann darf nicht zu sehen sein. In einer Viertelstunde nehme ich das Glas. Wer zu sehen ist, tanzt mit auf dem Eis. Ab!"
Er drehte sich um und ging zum Ufer zurück. Die drei Soldaten standen noch auf dem gleichen Fleck.
„Laufen! Ihr Bettpisser!" Er stemmte die Fäuste in die Seiten, und die Trillerpfeife klemmte wieder zwischen den Zähnen. Er pfiff, und die Soldaten liefen oder krochen über das Eis. Er nahm die Pfeife nur aus dem Mund, wenn er ihnen ein Schimpfwort zuschrie. Nach zehn Minuten brach einer der Russen zusammen und blieb auf dem Eis liegen. Er bewegte schwach den Kopf, war aber nicht in der Lage, sich zu erheben. Timm machte einen Satz auf das Eis, und dann stand er vor dem am Boden Liegenden.
„Auf!" schrie er. „Hinlegen!" Er wiederholte es mehrmals, ohne daß der Mann den Befehl befolgte. Timm kniff die Augen zusammen. Er schob das Kinn vor und brüllte den Mann ohne Unterbrechung an. Er hämmerte mit der
ganzen grausamen Suggestionskraft seiner Stimme so lange auf ihn ein, bis sich der Mann bewegte. Zuerst machte er nur den schwachen Versuch, die Beine anzuziehen. Sofort schrie Timm: „Auf, marsch!" Der Mann erhob sich mühsam. Aber er stand kaum auf den Beinen, als
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