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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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denen der Gegner ausgerüstet war. Sie waren im Kraftfahren und im Funken ausgebildet, in der Technik des Sprengens und im Minenlegen. Sie beherrschten ein halbes Dutzend verschiedener Methoden zu töten. Mit der Maschinenpistole und mit dem Kappmesser, das in der Wadentasche steckte, mit der Pistole und mit der Kante der flachen Hand.
    Die Brücke, die sie anflogen, lag nur wenige Flugminuten hinter der erstarrten, in der schmutzigen, herbstlich feuchten Erde vergrabenen Front an der alten Grenze Ostpreußens und Polens. Man schrieb das Jahr 1944, und es waren noch zwei Monate Zeit bis Weihnachten. Die Armeen lagen sich in den Schützenlöchern gegenüber. Verhaltend, Atem schöpfend und zum nächsten Schlag ausholend, die Rote Armee; vom Rückzug müde geworden, angeschlagen, nervös die Verteidigung organisierend, auf den nächsten Anprall sich gefaßt machend, die deutsche.
    Die Brücke war eine massive, alte Konstruktion aus Steinquadern und Beton. Auf dem Schienenweg über ihren Pfeilern rollten die Transporte bis nahe an die Front heran. Schützendivisionen und Panzerbataillone. Plateauwagen mit Fahrzeugen und Salvengeschützen, Material, Munition und Menschen. Die Züge rollten Tag und Nacht, denn es gab kaum noch deutsche Flugzeuge, die sie hätten angreifen können. Sie rollten bis zu einer schnell eingerichteten Entladerampe nahe der Front und verschwanden von hier in den tiefen Wäldern. Der Sturm kündigte sich an, und dieses Flugzeug mit den acht Männern war einer der vielen Versuche, den Beginn des Sturmes hinauszuzögern. Es war wie eine Rakete, die man in eine Unwetterwolke schießt in der Hoffnung, das niederprasselnde Unwetter aufzuhalten.
    Die Maschine war weit hinter der deutschen Front auf einem Feldflughafen aufgestiegen. Der Pilot kannte diese Art von Flügen. Er flog sehr hoch und überquerte die Front. Dann flog er eine weite Strecke über das russische Hinterland, bevor er die Maschine wieder auf Gegenkurs brachte. Die Peilanlage gab an, daß er in einigen Minuten über der Stelle sein würde, an der er die Männer abzusetzen hatte. Er winkte dem Funker und sagte in das Kehlkopfmikrophon: „Fertigmachen!" Dann drosselte er die Motoren, bis sie nur noch schwach blubbernd liefen, und ließ die Maschine langsam abwärts gleiten.
    Der Funker kroch durch das Schott in die Kabine. Er traf die Männer dabei an, wie sie die Karabinerhaken ihrer Reißleinen in das Drahtseil hakten, das durch die Kabine lief. Sie standen in einer Reihe hinter der noch geschlossenen Schiebetür. Der Unteroffizier überprüfte, ob alle Haken am Seil befestigt waren. Dann trat er als erster an die Schiebetür.
    „Morgen nacht, zwei Uhr!" sagte der Funker zu dem Unteroffizier. „Punkt zwei Uhr zündet ihr die Signallichter an. Ihr hört uns ja. Außerdem wird klares Wetter sein. Seht euch den Platz an, damit keine Klamotten herumliegen. Und wenn ihr Verwundete habt, macht Bahren und schnallt sie darauf fest. Der Einstieg liegt ziemlich hoch."
    Der Unteroffizier nickte. Sein geschwärztes Gesicht blieb unbewegt. Er war ein großer, in der Tarnkleidung etwas plump wirkender Mann.
    In diesem Augenblick kam aus der Hupe an der Kabinendecke der erste, lang gezogene Summton. Der Funker riß die Schiebetür auf. Der Luftzug zerrte an der Kleidung der Männer. Er fuhr in die Kabine und erfüllte sie mit dem frischen, kalten Atem der Nacht. Der letzte in der Reihe sagte zu seinem Vordermann: „Verflucht kalt sind die Nächte schon ..."
    Dann kam der zweite Ton der Hupe. Die Maschine glitt wenige hundert Meter über der Erde dahin. Der Unteroffizier sprang als erster. Die Nacht verschluckte ihn ohne einen Laut. Die Männer drängten zum Ausstieg, mit der einen Hand über dem Kopf den Karabinerhaken an der Stahltrosse mit sich ziehend. Eine Viertelminute nach dem Ton der Hupe war die Kabine leer. Der Funker schloß die Schiebetür wieder. Die Maschine glitt noch einige Zeit weiter mit halber Kraft, aber dann brachte der Pilot die Motoren wieder auf Touren und zog die Maschine steil hinauf in die Wolken, höher und höher.
    Draußen an den dunklen Seidenglocken der Schirme baumelten die acht Männer. Die Erde kam näher. Es war still unten. Eine ebene Fläche mit Gebüsch und herbstkahlem Laubwald. Die Männer sanken lautlos der Erde entgegen, den Aufprall erwartend. Jeder der acht wußte, daß bis zur kommenden Nacht, wenn die Maschine sie zurückholte, einige von ihnen tot sein würden.
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Die Stunde der toten Augen
    Thomas

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