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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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Timm ihm zu laufen befahl. Der Mann lief. Er torkelte ein Stück, doch dann lief er wieder normal. Timm grinste mit verkniffenem Gesicht hinter ihm her. Als der Mann nach dem ersten Hinlegen verhältnismäßig schnell wieder auf die Beine kam, wußte Timm, daß er gesiegt hatte. „Vorwärts, ihr Drecksäcke!" Er ging ans Ufer zurück und rief ihnen von da aus zu: „Gasmasken ab! Und jetzt will ich Bewegung sehen!"
    Sie liefen ihm zu langsam. Sie sparten mit Kraft, er merkte es. Sie wollten sich nicht bis zum Äußersten verausgaben. Aber er sprang zwischen sie, und seine Stimme gellte: „Wenn ihr jetzt nicht bald anfangt zu laufen, lasse ich euch wegen Befehlsverweigerung einsperren!" Dann pfiff er zweimal, und die Männer krochen.
    Um halb elf erinnerte er sich an die anderen. Er suchte mit dem Glas oberflächlich das Gelände ab und konnte sie vorerst nicht entdecken. Er erinnerte sich stolz daran, daß das seine Schule war. Aber im gleichen Augenblick dachte er verschlagen: Wartet eine halbe Stunde! Dann wird euch kalt, und dann wird Timm euch ausfindig machen, wenn ihr die Knochen rührt!
    Einige Minuten vor elf Uhr krochen die drei Soldaten auf dem Eis mit nackten Ellenbogen und Knien vorwärts. Die Kleidung war von den rauhen Eissplittern zerfetzt, und nun schürfte das Eis ihnen langsam die Haut auf. Timm ließ die Männer ganz dicht am Ufer entlangkriechen, wo stellenweise noch scharfes, dürres Schilf über die gefrorene Oberfläche ragte.
    Als er auf dem Eis die ersten Blutspuren bemerkte, sah er nach der Uhr. Es war elf Uhr dreißig. Sofort nahm er das Glas und suchte die übrigen Männer. Aber es war niemand von ihnen zu sehen. Timm wußte nicht, ob er ärgerlich sein sollte oder ob er Grund hatte, sich zu freuen.
    Er pfiff sie aus ihren Verstecken herbei. Dann pfiff er den drei Männern auf dem Eis und ließ sie alle zusammen antreten. Er ließ sie die Waffen ablegen, dann sagte er gleichgültig: „Pause. Es kann geraucht werden."
    Zado klaubte seine Zigaretten aus der Tasche. Er hockte neben einem der beiden Russen, die vom Eis zurückgekommen waren, im Schnee. „Setz dich nicht", riet er ihm, „morgen früh hast du einen wunden Arsch und kannst nicht laufen." Der Mann folgte wortlos dem Beispiel Zados, nahm den Stahlhelm ab und hockte sich darauf. „Rauch!" sagte Zado. Er hielt dem Russen eine Zigarette hin und gab ihm die Streichhölzer. Der Russe nahm beides, aber seine Hände waren so ungeschickt, daß er drei Hölzchen abbrach, ehe die Zigarette brannte.
    „Bißchen müde, was?" erkundigte sich Zado. „Das macht nichts. Das ist bei uns so üblich." Der Russe zog an der Zigarette und schluckte. „Verstehst du Deutsch?"
    „Ich verstehe alles", antwortete der Mann, „aber nicht gut sprechen."
    „Ich heiße Zadorowski", sagte Zado feierlich und hielt ihm die Hand hin. Der Russe nahm sie. Er fragte leise: „Pole?"
    „Nein. Düsseldorfer."
    Er blinzelte Bindig zu, der nicht weit entfernt auf seinem Helm hockte.
    „Na, geht's wieder?"
    „Wenn's nicht schlimmer kommt!" antwortete Bindig.
    „Er war krank", sagte Zado zu dem Russen, „er macht heute zum erstenmal wieder Dienst."
    Der Russe nickte. „Kann noch schlimmer machen?" fragte er flüsternd. Zado hielt ihm die Uhr hin und sagte gleichgültig: „In einer Stunde ist erst Mittag,"
    Alf kam erst zehn Minuten vor dem Ende des Dienstes. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Männer, und als er die roten, verschwitzten Gesichter sah, wandte er sich an Timm, der abwartend neben ihm stand: „Zufrieden, Unteroffizier?"
    „Die Leistungen sind zurückgegangen, Herr Leutnant", erwiderte Timm, „aber das kriegen wir schon hin."
    „Männer", sagte Alf unvermittelt, „ihr werdet heute nacht noch in Marsch gesetzt. Es wartet eine wichtige Aufgabe auf euch. Es bedeutet für euch alle eine große Auszeichnung, bei dieser Aufgabe eingesetzt zu sein. Nicht jeder ist in der Lage, das zu leisten, was ihr in den nächsten Tagen zu leisten habt. Ihr seid sozusagen die Elite der Kompanie. Von eurem Einsatz hängt eine Menge ab, aber ihr habt auch die besten Möglichkeiten, eure Aufgabe zu erfüllen. Wir haben die bolschewistische Gefahr vorläufig zum Stehen gebracht. Jetzt gilt es, ihr den Todesstoß zu versetzen. Männer wie ihr werden das schaffen. Zum erstenmal sind russische Kameraden unter euch. Gemeinsam mit ihnen werdet ihr kämpfen und siegen. Die Heimat setzt große Erwartungen in euch. Kämpft so, daß ihr euch einmal nicht vor euren

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