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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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Wurzelwerk eines Strauches fest, den die Granate zerrissen hatte, von der das Loch getroffen worden war.
    Bindig sah eine Weile zu, wie Zado in dieser Stellung an der Wand lehnte. Er beobachtete sein Gesicht, in dem sich der Schmerz abzeichnete, den ihm die Wunde verursachte. Dann sagte er plötzlich: „Wir müssen hier 'raus, du! Ich werde es versuchen. Wenn ich es bis zu den Panzern schaffe, können sie die auf dem Hügel eine Weile eindecken und inzwischen ein paar Träger herschicken. Es muß gehen ..."
    Zado bewegte kaum die Augenlider. Er sagte nur leise: „Geh! Sieh zu, daß du es schaffst. Ich bin sowieso fertig."
    Um Bindigs Kopf lag noch die Binde. Die Wunde heilte. Sie hatte überraschend schnell aufgehört zu schmerzen. Bindig zog die Pelzmütze tief in die Stirn, um das Weiß der Binde zu verdecken. Als das Feuer für Augenblicke nachließ, sprang er mit einem Satz aus dem Loch und begann zu laufen. Er kam ein paar Schritte weiter. Dann blitzte drüben am Wald das Mündungsfeuer eines Maschinengewehrs auf, und er warf sich hin, den bösartig surrenden Ton der Geschosse im Ohr, die über ihn hinwegflogen. Er wollte eben wieder aufspringen und weiterlaufen, so weit, bis er auf Rufweite an den Wald herangekommen war, aber da zuckte die Mündungsflamme aus dem Panzergeschütz, und die Granate fuhr über ihn hinweg. Eine Welle heißer Luft drückte ihn an die aufgewühlte Erde. Sekundenlang nach der Detonation hörte er die Splitter um sich herum in den Boden klatschen. Er versuchte zu winken. Aber es war zu dunkel. Am Wald begann ein Maschinengewehr zu hämmern. Er blickte sich ängstlich um und sah nach dem Hügel. Dort war alles ruhig. Er legte die Hände trichterförmig an den Mund und rief einmal, zweimal zum Wald hinüber, sie sollten ihn herankommen lassen. Doch seine Stimme war zu schwach. Sie drang nicht weit genug. Das Maschinengewehr sägte langsam weiter. Sie mußten ihn gesehen haben. Das Maschinengewehr tastete die Gegend ab, in der er lag. Er erinnerte sich daran, daß er die russische Uniform trug.
    „Hallo!" rief er noch einmal. Der Ruf ging unter in einer Serie Granatwerfereinschläge, die hundert Meter vor dem Wald lagen. Mit einemmal hing eine Leuchtkugel über dem Hügel. Sie hing an einem kleinen, seidenen Schirm und trieb langsam auf den Wald zu. Ein weißer Ball, der den Schnee zwischen den Granatlöchern aufleuchten ließ und in deren Licht sich jede Einzelheit auf der Erde scharf abhob. Sie schwebte weiter und weiter. Bindig duckte den Kopf tief an die Erde. Er erstarrte gleichsam, und während er auf dem Boden lag, fuhr aus dem Rohr des einen Panzers am Waldrand der nächste Schuß. Er schlug zwischen Bindig und dem Loch ein, wo Zado lag. Bindig sprang auf und lief auf den Wald zu. Er schrie und winkte, schwenkte die Arme über dem Kopf. Die nächste Panzergranate schlug dort ein, wo er im Licht der Leuchtkugel gelegen hatte. Die Erdbatzen flogen bis zu Bindig. Er spürte, wie ihm der Luftdruck ins Genick fuhr. In diesem Augenblick ratterte wieder das Maschinengewehr am Wald los. Wenige Schritte vor Bindig spritzten die Geschosse in die Erde und warfen kleine Klümpchen von Dreck und Schnee hoch. Es war Leuchtspur, Bindig sah die schwachgrünen Fäden in der Luft hängen. Er ließ sich fallen und rollte ein Stück zur Seite. Über ihm zogen die Fäden der Leuchtspur.
    „Kameraden ...", schrie er plötzlich. „He ... Kameraden ... Nicht schießen!" Seine Stimme brach heiser ab. Es hörte ihn niemand. Es kam auch keine Antwort. Nur ein paar Meter vor ihm, auf dem Kamm einer kleinen Welle im Boden, zerspritzten die Geschosse des Maschinengewehrs. Bindig rief noch einmal. Er rief immer wieder dasselbe. Er schrie sich die Kehle so heiser, daß er keinen Ton mehr herausbrachte. Es kam keine Antwort. Wenn er sich erhob, bellte am Wald das Maschinengewehr auf. Der Panzer schoß noch einmal in seine Nähe, dann schwieg er wieder. Das Feuer ließ nach. Einige Augenblicke lang war es völlig still. Erst dann jaulten wieder von weit hinter der sowjetischen Front ein paar Siebzehnzwo heran, die sich in den Wald bohrten. Bindig versuchte noch einmal, auf die Beine zu kommen und nach dem Wald zu laufen. Er sprang auf und lief, mit krächzender Stimme schreiend, daß sie nicht schießen sollten. Aber sie schossen. Der Schlag am linken Fußknöchel warf Bindig zu Boden. Er wälzte sich herum, und dabei spürte er den Schmerz. Der Fuß gehorchte nicht mehr. Der Knöchel war zerschmettert.

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