Die Stunde der toten Augen
ließ, die Panzerfaust durch die zusammengeflickte Scheibe. Sie fuhr zwischen die beiden Kanten des Vorhanges. Timm drückte auf den Knopf und ließ sich fallen. Er schrie auf, denn er fiel auf die zerschmetterte Schulter. Über ihm schoß ein greller Lichtschein aus dem berstenden Fenster. Die Welle der Detonation fegte Splitter und Fetzen über Timm hinweg. Dann war es still. Zado stand gehetzt am Tor. Die Gedanken wirbelten in seinem Kopf. Dahinten war das Dorf. Aber es war fraglich, ob sie dort die Explosion gehört hatten. Die Artillerie schoß, und auf diese Entfernung würde kaum einer darauf kommen, daß diese Explosion nicht von der Artillerie herrührte. Die Straße war still. In der Ferne rumorten Motoren, aber sie schienen nicht näher zu kommen. Fort! hämmerte es in Zados Kopf. Er lief am Zaun entlang, geduckt, keuchend. Nach ein paar Schritten sah er die Gestalt, die von der anderen Seite heranhetzte und in den Hof sprang. Er sah sie auf das Häufchen Mensch zulaufen, das unter dem Fenster lag, aus dem ein Fähnchen Rauch stieg, und er hörte die Stimme, als die Gestalt sich über dieses Häufchen beugte. Die Stimme rief nur ein Wort Sie rief: „Timm!"
Dann sprang die Gestalt durch die Tür ins Haus. Zado erhob sich langsam und ging zurück in den Hof. Er blieb stehen und wartete, bis die Gestalt langsam aus der Haustür trat. Dann sagte er: „Kleiner ...", und noch einmal, leiser: „Kleiner..." Er stolperte auf Bindig zu.
Flamme
Die Höhe war kahl. Es gab keinen Baum, nur ein paar kniehohe Büsche. Der Schnee war seit Tagen verharscht. Nun war er schmutzig. Die Granaten hatten ihn umgepflügt. Die Erde war hoch geflogen, und aus den kleinen braunen Flecken war schließlich das neue Muster des Bodens entstanden: Dreck mit weißen Tupfen.
Einmal, noch vor Stunden, war hier die Front der Roten Armee verlaufen. In den Löchern am westlichen Fuße des Hügels hatten die Rotarmisten gelegen, als das Feuer begann. Aber dann waren die Panzer gekommen, und man hatte die Männer aus den Löchern bis auf den Kamm des Hügels zurückgezogen. Dort oben lagen sie jetzt, an den östlichen Abhang geschmiegt, und warteten das Feuer ab. Hier konnte es ihnen nichts anhaben. Die Granaten mußten über den Hügel hinweg, wenn sie ihnen gefährlich werden sollten. Fauchten sie aber über die Kuppe, dann schlugen sie erst weit unten ein, weil der Boden steil abfiel, und die Splitter erreichten die Soldaten nicht mehr. Meist fuhren die Geschosse jedoch in die Vorderseite des Hügels, und auch dann blieben ihre Splitter unschädlich. Gegenüber dem Hügel, an einem unübersichtlichen Waldrand, standen die beiden Panzer und das Sturmgeschütz der Deutschen. Von dort schossen sie, aber sie waren schwer zu treffen, denn sie wechselten nach jedem Schuß die Stellung.
Die Soldaten hinter dem Hügel schossen selten zurück. Sie hatten ein paar Panzerbüchsen aufgestellt. Sie wußten, daß die Panzer ihnen nichts anhaben konnten. Kamen sie aus dem Wald heraus, dann würde man sie bis dicht an den Hügel herankommen lassen und abschießen. Blieben sie im Wald, dann blieb auch die Front so, wie sie war. Die Soldaten hatten sich an das Feuer gewöhnt. Sie duckten sich nicht mehr, denn sie wußten, daß sie sich in einer ausgezeichneten natürlichen Deckung befanden. Manche rauchten Zigaretten. Einer mit dem Sprechfunkgerät hockte bei ihnen. Er war von ein paar anderen umringt, aber er konnte ihnen nichts weiter sagen, als daß die Front so war wie vorher. Es war keine Gefahr mehr. Wenn von drüben aus dem Wald Infanterie kam, dann würden sie auf die Kuppe des Hügels ein paar Maschinengewehre stellen. Weiter als bis an den Fuß des Hügels würde die Infanterie nicht kommen. Außerdem hatten die Panzer nur eine gewisse Menge Munition bei sich, das wußten die Soldaten. Sie kauten Sonnenblumenkerne.
Dann schwiegen die Panzer plötzlich. Lange Zeit fiel kein Schuß am Waldrand. Die Soldaten warteten länger als eine Viertelstunde. Dann stiegen sie auf die Kuppe des Hügels und brachten ein Maschinengewehr in Stellung.
Sie hoben sich dabei gegen den Nachthimmel ab, denn auf der Hügelkuppe gab es kein Gebüsch. Als sie die Trommel auf das Maschinengewehr setzten, blitzte es am Waldrand auf. Die Granate rauschte knapp über die Köpfe der Männer hinweg und schlug weit hinten ein. Sie zogen das Maschinengewehr wieder zurück. Nach einer weiteren Viertelstunde wiederholten sie es noch einmal. Es kam wieder ein einzelner Schuß,
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