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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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Gewehr über die Schulter.
    Auf der Brücke hatte man eine gute Aussicht ins Land. Aber es war nirgendwo ein Lichtschein zu entdecken, außer dem schmalen Streifen, der aus dem Fenster des Bahnwärterhäuschens fiel, das ein paar hundert Meter hinter der Brücke am Bahndamm lag. Dort schliefen die übrigen Soldaten des Postenkommandos. Bindig ging nicht schneller und nicht langsamer auf die Mitte der Brücke zu, als der Posten gegangen war. Als er die ersten Schritte gemacht hatte, sah er Zado von der anderen Seite herankommen. Er erkannte ihn sofort am Gang. Zado hatte den Gang eines Eintänzers. Er war nicht zu verwechseln. Ihm paßte der Mantel des anderen Postens. Nur die Pelzmütze schien ihm zu groß zu sein. Sie erkannten sich beide, denn sie trugen die Gewehre jetzt beide mit dem Lauf nach unten; als sie sich vergewissert hatten, daß die Läufe der Gewehre nach unten zeigten, gingen sie einander schnell entgegen. Sie trafen sich in der Mitte der Brücke, wo sich die beiden Posten immer getroffen hatten.
    „Junge", sagte Zado langsam, „mit vierzig Jahren werden sie uns in ein Irrenhaus stecken, wenn das noch eine Weile so weitergeht. Das kann kein Mensch aushalten."
    Bindig antwortete nichts. Er blickte dorthin, wo der Unteroffizier mit den anderen liegen mußte, und dabei hob er eine Hand. Unten in den Büschen, jenseits der Bahnlinie, blinkte für den Bruchteil einer Sekunde der Lichtpunkt einer Taschenlampe auf. „In Ordnung", sagte Zado, „komm ..."
    Sie verließen, auf den Sehwellen der Bahngleise gehend, die Brücke und bewegten sich auf das Versteck der anderen zu.
    „Manchmal", sagte Zado leise, „manchmal habe ich Angst, daß ich in einem solchen Augenblick einfach aufstehe und zu so einem Posten sage: ,Hier bin ich!'" Er hielt den Kopf gesenkt, und die Pelzmütze rutschte ihm in die Stirn. Er schob sie ärgerlich nach hinten. Bindig antwortete nichts. „Aber es hat eben keinen Zweck", sagte Zado, „ich weiß es. Es hat keinen Zweck, man bringt es nicht fertig." Er ging mit gesenktem Kopf weiter neben Bindig her. Der biß sich auf die Lippen und sagte nichts. Es hatte keinen Sinn, etwas zu sagen. Das alles war nicht zu ändern. Es war so, wie Zado es sagte. Man durfte nicht daran denken und mußte auf das Ende warten. Man war Soldat, und man hatte zu tun, was einem befohlen wurde. Diese Einsätze hinter der Front waren nicht angenehm. Aber es gab nicht viel Auswahl, und die Leute, die in den Schützenlöchern hockten und auf die T 34 warteten, waren nicht besser dran. In dem einen Jahr, das Bindig bei der Kompanie verbrachte, hatte er gelernt, was es hieß, Soldat des Führers zu sein. Es hieß, daß man innerhalb der Gattung Mensch einen besonderen, untergeordneten Platz einnahm. Daß man über seine Handlungen nicht nachzudenken hatte und auch nicht über die Zukunft und die Vergangenheit. Wenn man das fertigbrachte, fehlte einem nichts. Aber es war schwer, das fertigzubringen. Es gab Augenblicke, in denen man bereit war, das zu tun, von dem Zado eben gesprochen hatte. Doch da stieg dann die Angst auf. Die Ungewißheit. Und wenn man Ruhe hatte und sich einem die Gedanken aufdrängten, dann war man mit einemmal ein jämmerliches Häufchen, ein Gemisch von Mut und Angst, von Zuversicht und Mißtrauen, von verlorenen Illusionen und jämmerlicher Ratlosigkeit. Man war ein haltloses Bündel Knochen, Muskeln und Sehnen vor dem kalten Kaleidoskop toter Augen, die den getöteten fremden Soldaten gehörten.
    Sie gingen an dem Posten vorbei, den Bindig getötet hatte. Zado legte den Kopf eigentümlich schief, um ihn anzusehen. Bindig ging plötzlich schneller. Es drängte ihn, an dem Toten vorbeizukommen. Er brachte es nicht fertig, ihn anzublicken. Die Kehle war auf einmal zu eng. Sie ließ den Atem nicht mehr passieren, es war, als schlösse sie sich, als lege sich ein Druck auf die zuckenden Muskeln des Herzens.
    Die Leere, in die er tauchte, war ganz plötzlich da. Im Kopf erhob sich ein feines Singen. Der schwarzseidene Vorhang fiel vor den Augen, und der Sternenhimmel begann langsam zu kreisen. Die Knie knickten ihm ein, und er stolperte. Aber Zado fing ihn auf, bevor der Lauf des Gewehres die Erde berührte. Er packte ihn und hielt ihn aufrecht; er wußte, daß er ihn jetzt hier nicht zusammenbrechen lassen durfte. Es war zu früh, zusammenzubrechen. Er nahm ihn und schüttelte ihn. Er riß ihn am Ohr und schlug ihm ins Gesicht, bis der Körper sich wieder straffte. Während er ihn losließ,

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