Die Stunde der Wahrheit
dem anderen verurteilende und verächtliche Blicke auf den Lord der Minwanabi richtete.
Die Bilder waren aussagekräftig genug. In das erstickende Schweigen murmelte Elgahar noch ein paar Sätze, dann erlosch das fremdartige blauweiße Licht. Mara füllte ihre verkrampften Lungen wieder mit einem tiefen Atemzug; sie bebte weiterhin vor Anspannung. Noch immer war die Gefahr für sie nicht vorüber.
Neben dem Lord der Minwanabi stand Almecho, in dessen Gesicht böse Freude aufflackerte. Kostbare Stickerei blitzte auf, als er in höchster Wahrung der Form mit den Schultern zuckte. »Nun, Jingu. Es ist wohl eindeutig genug, daß ein Angriff auf Euren Gast stattgefunden hat. Zuerst das Mädchen, dann der Krieger. Ihr habt leidenschaftliche Diener, nicht wahr?«
Jingu verriet nichts von dem Aufruhr, der in ihm toben mußte. Geschüttelt von Gefühlen, die nur er kannte, blickte er erst auf Mara, dann auf die muskulöse, blutende Gestalt seines Truppenführers. Jene, die nahe bei ihm standen, hörten ihn flüstern. »Warum? Shimizu, Ihr wart der Krieger, dem ich am meisten vertraute. Was hat Euch zu dieser Handlung getrieben?«
Shimizus Lippen zogen sich vor Qual zusammen. Welche Entschuldigung er für das Verhalten Teanis auch geben konnte, durch sein Handeln hatte er seinen Herrn bereits zum Tode verdammt, denn dies blieb die einzige Möglichkeit für Jingu, die befleckte Ehre wiederherzustellen. »Die Hexe hat uns betrogen«, sagte er einfach nur, und es blieb offen, ob er Mara oder Teani meinte.
»Du Narr!« schrie Jingu, und seine Heftigkeit ließ alle im Raum zusammenzucken. »Dummer Nachkomme einer kranken Hexe, du hast mich getötet!« Ohne nachzudenken zog er einen Dolch aus seinem Gewand und machte einen Satz nach vorn. Bevor jemand ihn daran hindern konnte, hatte er auch schon den Dolch tief in Shimizus ungeschützten Nacken getrieben. Aus den verletzten Arterien schoß Blut, bespritzte die schönen Gewänder der Umstehenden und entlockte einer Lady mit schwachen Nerven einen lauten Schrei. Shimizu taumelte in verständnisloser Verwirrung umher. Seine Hände fuchtelten sinnlos in der Luft, während das Leben aus ihm herausfloß. Die breiten Schultern sackten kraftlos nach unten. Verrat und Lügen, verdrehte Begierden und törichte Liebe – all das wurde jetzt bedeutungslos. Er sank zu Boden. Als er beinahe friedlich die Hand Turakamus empfing, flüsterte er seinem Herrn noch ein paar letzte Worte zu. »Ich danke meinem Herrn, daß er mir den Tod durch die Klinge gewährt hat.«
Dann nickte Shimizu noch Mara zu, eine stille Verbeugung vor ihrem Sieg. Sein Blick wurde leer, und die Hände, die vorher nach ihrem Leben getrachtet hatten, erschlafften. Ausgestreckt zu Füßen der vorzüglich gekleideten Gäste schien er ein passendes Symbol für Jingus Niederlage zu sein. Das Debakel des Lords der Minwanabi im Spiel des Rates war vollkommen.
Almecho durchbrach die Stille. »Das war sehr impulsiv, Jingu. Möglicherweise hätte der Krieger noch mehr zu sagen gehabt. Wie schade.«
Der Lord der Minwanabi wirbelte herum. Einen Augenblick sah es so aus, als wäre er sogar imstande, den Kriegsherrn anzugreifen, doch dann wich die Wut von ihm, und er ließ den Dolch fallen. Almecho seufzte. Die Erhabenen kehrten an seine Seite zurück, als er seine Aufmerksamkeit jetzt auf Desio richtete, den Sohn und Erben der Minwanabi. »Da der Sonnenaufgang als die beste Zeit für solche Angelegenheiten gilt, nehme ich an, daß Ihr in den nächsten Stunden mit den Vorbereitungen für die rituelle Auslöschung der Schuld Eures Vaters beschäftigt seid. Ich gehe wieder zu Bett. Und später, wenn ich aufstehe, werdet Ihr dafür gesorgt haben, daß diese doch sehr chaotische Geburtstagsfeier wieder etwas fröhlicher weitergehen kann … Lord Desio.«
Desio nickte. Unfähig, irgend etwas zu sagen, führte er seinen Vater hinaus. Jingu bewegte sich wie in Trance. Nachdem sich seine Wut entladen hatte, verstummte seine kühne, dreiste Stimme vollkommen, und er wandte seine Gedanken auf die vor ihm liegende Aufgabe. Er war niemals ein sehr mutiger Mann gewesen, und doch mußte er jetzt wie ein wahrer tsuranischer Lord handeln. Das Schicksal hatte ihm den Tod beschieden, und irgendwie mußte er die Kraft finden auszuführen, was von ihm erwartet wurde. Doch als sein Vater über die Türschwelle trat, warf Desio einen letzten Blick auf Lady Mara. Eine eindeutige Warnung lag in seinen Augen. Die anderen mochten ihr applaudieren für diesen
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