Die Stunde der Wahrheit
zu bewegen.
Die Szene entfaltete sich mit gespenstischer Deutlichkeit, geräuschlos und so zerbrechlich wie das Spiegelbild des Mondlichts im Wasser. Mara sah, wie sie sprach, wie dann eine Bewegung in der Tür aufflackerte. Der Erhabene stand reglos da, selbst als die Gestalt Teanis eintrat und durch ihn hindurchschritt, als bestünde sie aus Luft.
Die nächststehenden Gäste machten beunruhigt Platz, und mehr als einer gab einen erstaunten Ausruf von sich. Doch der Geist der Konkubine blieb unbeirrt. Gespenstisch in ihrer Schönheit, wiederholte sie die Schritte, die sie erst vor einer Stunde gegangen war, und näherte sich den Kissen vor Mara. Die Abbilder der beiden Frauen setzten sich und sprachen miteinander. Mara betrachtete ihre eigene Gestalt; sie war erstaunt, welch ruhigen Eindruck sie gegenüber Teani gemacht hatte.
Selbst jetzt ließ die Wiedererschaffung der Szene ihr Herz schneller schlagen, und ihre Hände wurden feucht. Die Erinnerung an ihren schrecklichen Zweifel drohte sie immer noch fast zu überwältigen. Doch nichts davon hatte sich Teanis Augen enthüllt; und die Gäste, die die Früchte der Magie des Erhabenen betrachteten, erhielten den Eindruck, als würde eine zutiefst selbstsichere junge Frau sich einer von niederem Rang entgegenstellen. Mara verstand jetzt, weshalb die Konkubine auf ihre dreiste Behauptung hereingefallen war und geglaubt hatte, daß sie einen Beweis für ihre Tätigkeit als Spionin für die Anasati besessen hätte.
Als nächstes sahen alle im Raum, wie Teani nach Shimizu rief, der an der Tür stand. Wenn auch ihr Abbild keinen Laut von sich gab, war doch der Name leicht von ihren Lippen abzulesen, und einen Augenblick später erschien der Truppenführer. Die Worte, die jetzt ausgetauscht wurden, waren nicht nachvollziehbar, doch Teanis Gesichtsausdruck verwandelte sich, wurde so animalisch, daß einige Gäste erstaunt nach Luft rangen. Shimizu verließ plötzlich den Rahmen des Zaubers, und alle konnten sehen, wie Teani ein Messer aus ihrem Ärmel zog. Ohne sichtbare Provokation sprang sie von den Kissen auf und stach auf Mara ein. Welche Behauptung auch immer Jingu als Verteidigung anbieten mochte, ohne Zweifel blieb die Tatsache bestehen, daß eine Dienerin der Minwanabi die Lady der Acoma angegriffen hatte. Die Bürgschaft, die der Lord der Minwanabi zum Schutz seiner Gäste gegeben hatte, war zerbrochen.
Zum ersten Mal, seit sich irgendein Lord im Kaiserreich erinnern konnte, erbleichte Jingu in der Öffentlichkeit. Schweiß trat auf seine Oberlippe, während sich vor ihm das Drama der vergangenen Stunde weiter entfaltete. Truppenführer Shimizu betrat wieder den Raum, und nach einem kurzen und bitteren Streit brachte Teani ihm mit dem Messer eine Wunde bei. Alle schauten fasziniert zu, als er die Konkubine durch die Balkontür schleuderte. Das hölzerne Geländer zerbrach bei dem geräuschlosen Aufprall, und Teani fiel hinab in den Tod. Nur das gespenstische Abbild der Gefühlsregungen auf ihrem Gesicht, verzerrt von Haß, Schrecken und einer verzweifelten Furcht, grub sich in die Erinnerung der Gäste. Einen Augenblick schien der überfüllte Raum leer und reglos zu sein. Dann ließen einige der Gäste, die das Drama bereits für beendet hielten, entsetzte Bemerkungen fallen. Mara nutzte den Augenblick und sah den Lord der Minwanabi an.
Sein Ausdruck zeigte blanke Berechnung, und in seinen kleinen Augen glomm schwache Hoffnung. Wenn Teani sich als abtrünnig erwiesen hatte, so hatte doch Shimizu seine Ehre wiederhergestellt, indem er sie getötet hatte. Würden die Bilder hier enden, so konnte ihm nichts geschehen. Doch das Gesicht des Erhabenen offenbarte unter dem dunklen Schatten seiner Kapuze weder Strenge noch Sympathie. Der magische Bann entfaltete weitere Bewegungen, und in der Mitte des Raumes war der Truppenführer der Minwanabi zu sehen, wie er sich in Kampfposition der Lady der Acoma näherte.
Jingu erstarrte, als hätte ihn die Schwertspitze eines Henkers berührt. Shimizus breiter Rücken hinderte alle daran zu sehen, was Lady Mara gesagt haben mochte, doch nach einem kleinen Wortwechsel hob der Krieger die Klinge und ließ sie herabsausen. Man konnte sehen, wie Mara sich in die Ecke rollte – und vorsichtig, verstohlen begannen die Gäste von ihrem Gastgeber abzurücken, als wäre seine Schande ansteckend und könnte bei der kleinsten Berührung auf sie übergehen. Arakasis mutiges Eingreifen wurde zu einem bloßen Nachspiel, da ein Gast nach
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