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Die Stunde der Wahrheit

Die Stunde der Wahrheit

Titel: Die Stunde der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond E. Feist
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gründete, schickte Mara den Poeten wieder fort, den sie zum Vorlesen zu sich gerufen hatte. Statt dessen verbrachte sie den Nachmittag mit Meditation, denn die Schönheit seiner Worte wäre angesichts des gegenwärtigen Zustands ihres Geistes nur verschwendet gewesen.
    Die Stunden vergingen. Die Needras wurden von den Tagesweiden zurückgetrieben, und die Shatra-Vögel stiegen auf und begrüßten die hereinbrechende Dunkelheit. Als der Gärtnergehilfe die Lampen bei der Tür anzündete, kehrte Arakasi zurück, staubiger als am Morgen und mit deutlich wunden Füßen. Er trat zu Mara, während die Dienerinnen gerade die Kissen zurechtlegten, um es ihr bequem zu machen. Selbst im unbeleuchteten Zwielicht des Zimmers war die große rote Schwellung auf seiner Wange deutlich zu sehen. Still winkte Mara ihre Zofen hinaus. Danach schickte sie den Läufer los, kaltes Essen, eine Schüssel Wasser und Tücher zum Waschen zu holen. Erst dann bat sie den Supai, Platz zu nehmen.
    Das Klappern der Sandalen verklang, als der Läufer den Gang entlangeilte. Arakasi verneigte sich vor seiner Herrin; er war jetzt allein mit ihr. »Mylady, Euer Lord hörte meiner verschlüsselten Nachricht zu, dann bekam er einen Wutanfall. Er schlug mich und brüllte, daß ich alles Geschäftliche mit Jican oder Euch besprechen sollte.« Mara hielt seinem eindringlichen Blick mit ausdrucksloser Miene stand. Sie wartete angespannt, doch nach einer Pause fuhr Arakasi fort. »Da war eine Frau, und er schien … ziemlich beschäftigt. Auf jeden Fall ist Euer Ehemann ein ganz hervorragender Schauspieler. Oder aber er hat gar nicht gespielt.«
    Mara sah ihn noch immer unschuldig an. »Mein Ehemann hat viele Pflichten des Haushaltes auf mich übertragen. Schließlich war ich Herrscherin, bevor er hierher kam.«
    Doch Arakasi ließ sich nicht zum Narren halten. »›Hält das Spiel des Rates Einzug ins Haus, verweigert sich der kluge Diener dem Spiel‹«, zitierte er. »Aus Gründen der Ehre muß ich das tun, was mein Lord verlangt hat, und ich nehme an, daß die Dinge genauso sind, wie sie scheinen, bis ich eines Besseren belehrt werde.« Sein Blick wurde jetzt kalt, selbst im verhüllenden Schatten der Dämmerung. »Aber ich bin loyal gegenüber den Acoma. Mein Herz ist bei Euch, Mara von den Acoma, denn Ihr gabt mir wieder Farben zu tragen, doch ich bin gebunden in der Pflicht, meinem rechtmäßigen Herrn zu dienen. Und ich werde ihn nicht verraten.«
    »Ihr sagt nur, wozu ein treuer Diener aus Gründen der Ehre verpflichtet ist, Arakasi. Ich erwartete nichts weniger als das.« Mara lächelte; sie war unerwartet erfreut über die Warnung ihres Supais. »Hegt Ihr irgendwelche Zweifel an den Wünschen meines Gemahls?«
    Der Sklave kam mit einem Tablett voller Essen. Arakasi nahm dankbar ein Stück gebackenen Jiga-Vogel; dann antwortete er: »Tatsächlich hätte ich welche, wenn ich nicht die Frau gesehen hätte, mit der er … sprach, als ich erschien.«
    »Was meint Ihr damit?« Mara wartete ungeduldig, während er kaute und schluckte.
    »Teani. Ich kenne sie.« Arakasi wurde deutlicher, ohne den Klang seiner Stimme zu verändern. »Sie ist eine Spionin des Lords der Minwanabi.«
    Mara spürte einen kalten Stich. Die folgende Pause war lang genug, daß Arakasi ihre Sorgen bemerkte. »Erzählt niemandem davon«, sagte sie.
    »Ich verstehe, Mistress.« Arakasi hatte die Pause genutzt, um noch etwas zu essen. Seine Reisen hatten ihn ausgehungert, und er hatte seit Morgenanbruch viele Wegstunden zurückgelegt. Mara fühlte sich schuldig, weil er außerdem das schmerzhafte Zeichen von Buntokapis Zorn trug, und so gestattete sie ihm, sein Mahl in Ruhe zu beenden, bevor sie ihn um seinen vollständigen Bericht bat.
    Danach war sie viel zu aufgeregt, um seine Müdigkeit noch weiter zu beachten. Als Arakasi in knappen Worten die Intrigen und Verwicklungen der Politik des Kaiserreiches vor ihr ausbreitete und mit einigen witzigen Anekdoten würzte, lauschte sie mit glänzenden Augen. Dafür war sie geboren worden! Als der Abend in die Nacht überging und der Mond auf der anderen Seite des Ladens hervorkroch, nahmen Bilder und Muster Gestalt in ihrem Kopf an. Sie unterbrach Arakasi mit eigenen Fragen, und die Schnelligkeit ihrer Schlußfolgerungen ließ auch ihn seine Müdigkeit vergessen. Zumindest hatte er eine Herrin, die die Nuancen seiner Arbeit verstand und anerkannte; in Zukunft würde ihre Begeisterung seine Fähigkeiten noch weiter schärfen. Wenn die anderen

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