Die Stunde Der Woelfe
Liebe, nennen Sie mich Veronica.«
Veronica Sevilla, deren Geburtsname Martha Perkins lautete, trug ein gerade geschnittenes schwarzes Strickkleid, schwarze Strümpfe, Stöckelschuhe aus schwarzem Lackleder und eine schwarze Pelzstola. Ihr dunkles Haar â das zweifellos gefärbt war â umrahmte ihr blasses Gesicht in kleinen Löckchen. An ihren Ohrläppchen glitzerten Diamantohrstecker. Sie saà im Gästesessel zurückgelehnt, die Arme um sich gelegt, je eine Hand auf der gegenüberliegenden Schulter. Nicht weil sie fror oder nervös war â es
war reine Show. Ihre offizielle Biografie verriet weder ihr Alter noch ihr Geburtsdatum. Man sah ihr nicht an, wie alt sie war. In ihrem Gesicht waren Falten, aber es wirkte nicht alt. Sie konnte alles zwischen vierzig und sechzig sein. Eventuell war auch eine Schönheitsoperation im Spiel gewesen.
Sie war kein Vampir. Sie roch warm, und ich konnte ihr Herz schlagen hören. Aber sie setzte alles daran, sich wie eine zu benehmen. Ich konnte den Blick einfach nicht von ihr wenden, als wollte ich fragen: Soll das Ihr Ernst sein?
»Nun, Veronica, Sie schreiben auf eine Art und Weise über Vampire, die diese Wesen ganz besonders lebendig wirken lässt. Manche Kritiker haben Ihre Fähigkeit hervorgehoben, sie aus dem Reich der herkömmlichen Horrorkost zu holen und in mehrschichtige Figuren zu verwandeln. Sie sind die Helden Ihrer Geschichten.«
»Ja, natürlich. Warum auch nicht? Es ist alles eine Frage der Betrachtungsweise.«
»Sie haben eine Gemeinde von Bewunderern, die sich stark mit Ihren Vampirprotagonisten zu identifizieren scheint. Einige behaupten sogar, Ihre Romane seien gar nicht fiktional, stattdessen handele es sich um auf Tatsachen beruhenden Darstellungen echter Vampire. Was sagen Sie dazu?«
Sie machte eine wegwerfende Handbewegung, die in einer Radiosendung völlig unterging.
»Ich hätte keine Ahnung, wo ich einen echten Vampir auftreiben sollte. Vampire sind ein Produkt der menschlichen Fantasie. Meine Bücher sind alle meiner eigenen Vorstellungskraft entsprungen.«
Ich hegte da so meine Zweifel. Lieà man Sevillas rasende Fans und ihren schwülstigen Stil beiseite, traf sie einfach zu viele Einzelheiten auf den Kopf. Die Art und Weise, wie Vampirfamilien funktionierten, die Dinge, die sie einander sagten, die Dominanzspielchen und das Sich-in-Pose-Werfen, die bei ihnen genauso verbreitet waren wie bei Werwölfen â Einzelheiten, die sich eine AuÃenseiterin nicht alle ausdenken konnte.
Entweder war sie also sehr gründlich bei ihrer Recherche â und dann wollte ich wissen, welche Informationsquellen zur Vampirkultur sie heranzog â, oder sie hatte Verbindungen. Vor unserer Begegnung hatte ich halb erwartet, sie sei ein Vampir oder eine menschliche Dienerin eines Vampirs oder Ãhnliches.
»Warum fühlen sich Ihre Fans Ihrer Meinung nach derart von Ihren Figuren und Geschichten angezogen? Warum möchten die Menschen an Vampire glauben?«
»In meinen Büchern erschaffe ich eine Welt, die verlockend ist. Meine Welt, die Familie Bledsoe, Vampire im Allgemeinen â das sind alles Metaphern für die Macht, die diese armen Kinder gerne im Leben hätten, die sie aber nicht besitzen, weil sie so ⦠so â¦Â«
»So unsicher sind?«
»Es sind Outcasts. AuÃenseiter. Schlecht angepasst.«
»Wollen Sie damit sagen, dass Ihre Fans gesellschaftliche AuÃenseiter sind?«
Sie berührte ihre Lippe mit einem abgekauten Fingernagel. »Hm, ganz genau.«
»Sie haben Fans, die zu Ihnen kommen und etwas über Vampire erfahren möchten, die Vampire werden wollen.
Diese Menschen betrachten Sie als Koryphäe auf diesem Gebiet. Was sagen Sie ihnen?«
»Ich sage ihnen, es sei alles reine Fiktion. Alles, was ich zu sagen habe, steht in den Büchern. Was sagen Sie den Leuten, wenn sie Ihnen solche Fragen stellen?«
»Ich sage ihnen, dass es vielleicht so toll nun auch wieder nicht ist, ein Vampir zu sein.«
»Sind Sie jemals einem Vampir begegnet, Kitty?«
Ich hielt inne. Meine Lippen umspielte der Hauch eines Lächelns.
»Ja. Und ehrlich gesagt bin ich der Meinung, dass Ihre Romane der Wahrheit ziemlich nahekommen.«
»Tja, was soll ich dazu sagen? Vielleicht könnten Sie mich mit einem bekannt machen.«
Ich dachte darüber nach und kam zu dem Schluss, dass Arturo sie liebend gerne zum
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