Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
zurück. Ich nicht. Ich bin nicht mal zum Luftholen aufgetaucht, bis ich einige Zeit in einer Privatklinik therapiert und unter Drogen gesetzt worden war.
Jetzt saß mir Michael gegenüber und erklärte ganz beiläufig, dass er so sei wie ich; behauptete, es gäbe da draußen noch eine ganze Reihe von Leuten mit »speziellen« Fähigkeiten. Die Vorstellung, da wären andere Menschen mit besonderen Gaben, Menschen, mit denen ich möglicherweise in Kontakt treten könnte, war überwältigend und tröstlich zugleich. Mit einem von ihnen konnte ich mir jetzt schon vorstellen, eine Beziehung einzugehen – momentan warf er mir hinter seiner Zeitung verstohlene Blicke zu. Ich hätte mir ja denken können, er würde ein Auge auf mich haben.
Aber wahrscheinlich wartete er nur darauf, dass ich durchdrehte, und wollte darauf vorbereitet sein.
»Okay«, sagte ich schließlich und unterbrach die Stille. »Was soll ich tun?«
»Es läuft alles auf meine ursprüngliche Frage hinaus.« Er faltete seine Zeitung zusammen und legte sie auf den Tisch. »Was willst du?«
»Ich will normal sein, aber ich weiß, dass das nicht möglich ist.«
»Normalität wird überbewertet.« Sein Lächeln war zum Dahinschmelzen.
»Na ja …« Ich geriet ins Stocken – wieder einmal verwirrt durch seinen Mund. »Wenn normal keine Option ist, würde ich, glaube ich, gern so viel wie möglich von dem verstehen, was ich bin.«
»Was wir sind«, korrigierte er mich. »Wie wär’s, wenn wir heute Abend essen gehen? Dann kannst du den ganzen Tag darüber nachdenken, welche Fragen du mir stellen möchtest.«
Essen gehen. Heute Abend. O Gott. Ja. »Ich besorg uns einen Tisch im Phone Company. Um sieben?«
»Abgemacht, dann haben wir also ein Date«, sagte er und stand lächelnd auf. So schnell wie das Lächeln gekommen war, verschwand es wieder. »Nun ja, kein Date im eigentlichen Sinne. Bei Hourglass wird es nicht gern gesehen, wenn die Angestellten Arbeit und … Vergnügen vermischen.«
Ich nickte ihm lächelnd zu, bevor er das Café verließ, doch all die wunderschönen Schmetterlinge in meinem Bauch machten eine jähe Bruchlandung.
Natürlich wurde es nicht gern gesehen.
6. KAPITEL
A uf dem Heimweg schaute ich im Phone Company herein, um einen Tisch zu reservieren. Da jeder das Restaurant weiter Phone Company nannte, egal welchen neuen Namen er ins Spiel brachte, hatte Thomas die alte Bezeichnung einfach beibehalten. Er nutzte das ehemalige Firmenlogo und dekorierte den Schankraum mit alten Einrichtungsstücken und Apparaten. Sehr originell mit viel glänzendem dunklem Holz und poliertem Metall. Sehr schön, wenn man auf solche Sachen stand.
Offensichtlich taten das sehr viele Leute, denn ohne meine Beziehungen hätte ich keinen Tisch für uns ergattern können. Ich scheute mich nicht, sie zu nutzen, und zwang die Empfangsdame förmlich, uns ganz oben auf der Reservierungsliste einzutragen. Nie und nimmer wollte ich mir dieses Date … Abendessen entgehen lassen. Es kostete mich große Selbstbeherrschung, mir ein nervöses Kichern zu verkneifen. Die Dame musterte mich verstohlen, und mir war klar, dass ich die Gerüchteküche mal wieder tüchtig anheizte beziehungsweise zum Kochen brachte.
Die Reservierung in trockenen Tüchern ging ich über den Platz zu unserer Wohnung, wobei ich mich zwang, nach unten zu blicken und mich dem Strom der Passanten anzupassen. Ich hätte es beinahe geschafft, doch als ich von der Straße auf den Gehsteig trat, marschierte ich durch ein Blumenmädchen aus den Siebzigern mit bunter Hippiekette. Sie zerplatzte und verschwand mit einem leichten Luftzug, so wie es die Zeitlosen – wenigstens hatte ich jetzt ein Wort für sie – immer taten.
Ich überlegte, ob ich mich mit geschlossenen Augen hinauf in die Wohnung tasten sollte, aber ich wollte keine unnötigen Verletzungen vor dem Abendessen riskieren. Stille umfing mich, als ich durch die Haustür trat, und ich war dankbar, dass ich eine Weile allein sein konnte.
Kurz vor meiner Rückkehr hatte Dru mein Zimmer dekoriert, und nun spiegelte es meine Persönlichkeit ziemlich gut wider. Die tiefbraunen Wände waren nur ein paar Nuancen heller als mein Frühstücksespresso. Weiße, schlichte Möbel wurden mit sanften Korallentönen in Szene gesetzt, die den Raum lebendig machten, und sorgfältig ausgewählte, gerahmte Fotografien machten ihn zu einem Zuhause. Zwischen den beiden Erkerfenstern stand ein Ledersessel mit Fußhocker. Hübsch gerahmte
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