Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
Drucke von John William Waterhouse hingen über dem Bett. Mein Lieblingsbild, Die Lady von Shalott , prangte in der Mitte. Über einer Kommode befand sich ein großer, beleuchteter Spiegel.
Dru kam, ohne zu klopfen, hereinspaziert und erschreckte mich.
»Tut mir leid, Em. Ich wusste nicht, dass du da bist.« Sie legte ein flauschiges, orangefarbenes Plaid, an dem noch die Preisschilder hingen, auf mein Bett und wollte sich gleich wieder zurückziehen. »Ich hab das hier heute entdeckt und dachte, es wäre eine kuschelige Zudecke für dich. Ich lass dich sofort wieder allein.«
»Bleib ruhig da. Du brauchst mir aber wirklich nicht ständig was zu kaufen«, sagte ich leise und zog die Decke auf meinen Schoß. Ich wollte ihr klarmachen, dass ich nicht andauernd Geschenke von ihr erwartete. »Aber sie ist toll. Vielen Dank.«
Sie errötete, und ihr heller Porzellanteint glühte noch mehr als gewöhnlich, weil sie sich freute, dass ich mich freute. Ich hatte Dru eine Menge zu verdanken. Sie hatte mich nicht nur als Ersatztochter akzeptiert, als sie Thomas heiratete, sondern sich auch ungeheuer bemüht, damit ich mich willkommen und geliebt fühlte, als ich zurück nach Hause gekommen war. Immer wieder versicherte sie mir, die Aufkündigung meines Internatsstipendiums liege nicht daran, dass ich versagt hätte, sondern an der mangelnden Spendenbereitschaft der Sponsoren.
Sie ließ sich in den Ledersessel fallen. »Und erzählst du mir jetzt was von Michael? Er scheint anders zu sein als die anderen, stimmt’s?«
Eine halbe Sekunde lang versuchte ich, meine Meinung für mich zu behalten.
»Ich muss die ganze Zeit an seinen Mund denken.« Mein Laufwerk musste wirklich dringend repariert werden. So aufrichtig hatte ich wirklich nicht sein wollen. Ich fühlte, wie mir das Blut in die Wangen schoss, und hoffte verzweifelt, dass Dru mich nicht richtig verstanden hatte.
Vergeblich.
»Wie bitte? Emerson Cole, so etwas hab ich dich ja in deinem ganzen Leben noch nicht sagen hören!«
Ich biss mir auf die Lippe, doch das Kichern ließ sich nicht unterdrücken. Es fühlte sich vollkommen normal an, anders als ich. Dru stimmte mit ein.
Sie wischte sich mit dem Ärmel die Augen. »Dein Bruder ist bestimmt nicht begeistert, aber ich freue mich für dich. Du hast viel durchgemacht in den letzten Jahren. Mehr als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben.«
So ungern ich auch über die Vergangenheit reden mochte, so kam sie heute ständig zur Sprache. Zeit für ein Ausweichmanöver. Ich streifte die Schuhe ab, zog die Knie an die Brust und schlang meine Arme darum. »Michael und ich wollen heute Abend essen gehen.«
»Das wird ja wohl kein Date, oder?«
Ich verdrehte die Augen. »Ich wünschte, es wär eins. Aber er hat es ziemlich deutlich gemacht, dass Hourglass keine privaten Beziehungen zwischen Mitarbeitern und Klienten wünscht.«
Jetzt verdrehte Dru die Augen. »Oh, darüber bin ich bestens informiert. Thomas hat es Michael mehrmals eingeschärft, bevor er ihn beauftragt hat. Aber trotzdem … Ich habe gesehen, wie Michael dich gestern Abend angeschaut hat.«
»Ich habe ein Glas fallen lassen und mitten auf der Party fast hyperventiliert. Jeder hat mich angestarrt.«
»Nein, schon bevor das passiert ist.«
Ich hatte es auch gesehen.
Vielleicht war er einfach glücklich, jemanden gefunden zu haben, der so war wie er, oder vielleicht war es ja auch Unsinn, dass Gegensätze sich anzogen. Ich hatte keine Ahnung. In den letzten Jahren hatte ich mich so zurückgezogen, dass ich noch nie ein richtiges Date gehabt hatte. Gruppendates hatte ich schon ein paarmal mitgemacht, was vor allem, wenn ich nicht alle kannte, die Hölle war, aber nie ein normales Date und schon gar kein Blind Date. Igitt. So oder so, ob es mir nun gefiel oder nicht, heute Abend würde es wieder kein Date sein.
»Heute Abend ist kein Date«, sprach ich meine Gedanken laut aus. »Es ist ein Geschäftsessen – er wird dafür bezahlt, dass er mit mir ausgeht. Thomas hat ihn beauftragt. Michael ist nicht aufgetaucht und hat darum gebeten, mir vorgestellt zu werden.«
»Was willst du anziehen?«
Ich sah förmlich, wie es sie in den Fingern juckte, mir bei der Kleiderwahl zu helfen. »Wie wär’s, wenn ich die Entscheidung dir überlasse?«
Zwei Minuten später reichte sie mir ein weiteres Paar Schuhe mit Mörderabsätzen und ein Kleid aus schimmerndem, kupferfarbenem Stoff. »Hier, das bringt deine grünen Augen zum Leuchten. Ich ruf noch
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