Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
meinen Augen schon.«
»Bin ich nicht. Ich bin nur eins: total frustriert.«
Mit einem Mal packte Michael mich an den Ellbogen, wirbelte mich herum und stellte mich wieder auf die Füße.
»Wessen Schuld ist das wohl?«, rief ich, als er mit steifem Rücken die Treppe zur Hintertür hochging. »Nicht meine. Vielleicht solltest du mir einfach erzählen, womit ich angeblich nicht klarkomme – hast du darüber schon mal nachgedacht?«
Doch die Tür war bereits ins Schloss gefallen, und ich sprach ins Leere.
12. KAPITEL
A m nächsten Morgen schaute ich im Murphy’s Law rein, um flüssige Energie zu tanken und mit Lily zu quatschen. Schlafmangel gehörte mittlerweile zu den unangenehmen Begleiterscheinungen meines Lebens. Ich überlegte kurz, einen Kamillentee zu bestellen. Der sollte ja bei Aufregung ganz hilfreich sein, und davon hatte ich jede Menge.
Lily stand hinter der Theke. Sie sah mich kommen und gab meine übliche Bestellung weiter. »Ein doppelter Cubano und eine extragroße Empanada.«
Kamillentee?
Alles klar.
Als Lily meine Bezahlung verweigerte, schob ich mein Geld in die Trinkgelddose und ging zum vorderen Teil des Cafés, wo ich mich in einen dick gepolsterten, orangefarbenen Sessel fallen ließ. Draußen sah ich einen Mann mit Arbeitshosen und T-Shirt mit Gärtnereilogo, der die Sommerblumen aus den Pflanzkübeln am Straßenrand entfernte. Er ersetzte sie durch Chrysanthemen in verschiedenen Rot- und Violetttönen. Neben ihm stand ein Doppelgänger unseres Nationalhelden Davy Crockett, dessen Waden in der Blumenerde verschwanden. Zeitlose und feste Gegenstände vertrugen sich nicht besonders gut. Ich war froh, dass sich Davy im falschen Jahrhundert befand und nicht nur modisch danebenlag.
Die Biberpelzmütze wäre wirklich der Brüller gewesen.
Während ich die beiden beobachtete, bemerkte ich ein Schild an der Fensterscheibe des Cafés. Im hellen Sonnenschein stachen zwei fettgedruckte Wörter deutlich hervor: AUSHILFE GESUCHT. Das war ein Geschenk des Himmels. Ich wollte schon so lange einen Job, damit ich mich nicht immer an Thomas wenden musste, wenn mein Taschengeld nicht reichte, und jetzt suchte mein absolutes Lieblingscafé eine Aushilfe. Konnte ich diesen Traumjob ergattern, bei dem ich den ganzen Tag mein Lebenselixier riechen und verkaufen durfte?
Lily servierte mir Espresso und Empanada und setzte sich anmutig zu mir an den Tisch.
»Warum hast du mir nicht erzählt, dass ihr jemanden sucht?«
Sie runzelte ungläubig die Stirn, bis ich auf das Schild deutete. Mühsam entzifferte sie die spiegelverkehrten Buchstaben. »Ich hatte keine Ahnung, dass meine Großmutter jemanden einstellen will. Ich dachte, sie lässt mich schuften, bis ich umfalle, nur um Geld zu sparen.«
»Deine Auffassungsgabe erstaunt mich immer wieder aufs Neue.« Sie warf mir einen grimmigen Blick zu. Um sie wohlwollend zu stimmen, wechselte ich das Thema. »Meinst du, deine Abuela würde mich einstellen?«
»Wieso nicht? In deinen Adern fließt Kaffee statt Blut. Das hat vielleicht dein Wachstum gestoppt.« Am liebsten hätte ich ihr etwas an den Kopf geworfen, aber außer der Empanada fand ich nichts zum Werfen, und die wollte ich nicht opfern.
»Ist sie da?« Vergeblich versuchte ich, mich aus dem Sessel hochzurappeln. »Kann ich sie sprechen?«
»Sie holt gerade ein paar Münzrollen von der Bank. Und wieso fragst du überhaupt? Wenn du den Job haben willst, dann kriegst du ihn.« Lily drehte ihr langes dunkles Haar zusammen und steckte es hoch. Mit der Speisekarte, die sie als Fächer benutzte, erinnerte sie eher an Kleopatra als an eine Serviererin in einem Kleinstadtcafé. Sie wirkte einfach in jeder Lage glamourös. »Meinst du, du kannst morgen anfangen? Ich brauch eine Pause.«
»Nur wenn du mich aus diesem Sesselungeheuer rausziehst. Was gebt ihr diesem Monster zu fressen? Gäste?«
»Entspann dich.« Lily ließ ihr Haar wieder auf die Schultern fallen und grinste mich an. »Ich hab’s gern, wenn mein Publikum nicht wegrennen kann. Wie läuft’s mit Thomas und Dru?«
Da ich ohne fremde Hilfe nicht entkommen konnte, trank ich einen Schluck Espresso und seufzte genießerisch. Es ging das Gerücht um, dass man außer in Miami keinen besseren Cubano bekam, weil er schon beim Aufbrühen mit Zucker versetzt wurde. »Ausgezeichnet. Dru ist schwanger.«
»Schwanger? Das ist ja toll«, sagte sie begeistert. Doch dann legte sie den Kopf schief und musterte mich argwöhnisch. »Oder?«
»Ja, es
Weitere Kostenlose Bücher