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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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nicht glauben, aber wir machen Urlaub. Es ist übrigens gar nicht so schlecht am Strand.»
    «Na ja, wer so was mag. Den ganzen Dreck nach dem Sturm und all das.» Der Wirt goss Wein in eine Karaffe, stellte Gläser auf den Tisch, schenkte ihnen ein knappes Lächeln und verschwand in der Küche.
    «Ich möchte mich bei dir bedanken», sagte Guerrini und füllte die Weingläser.
    «Wofür?»
    «Du hast keine einzige boshafte oder ironische Bemerkung über meine verzweifelte Suche nach einem Restaurant gemacht. Das finde ich sehr tapfer von dir, Laura. Dabei habe ich sogar deinen Magen knurren gehört!»
    «Ich habe darauf vertraut, dass jemand, der in seiner Jugend hinter den Kopfjägern von Borneo her war, auch in der Lage ist, Nahrung zu finden.»
    Er lachte, und Laura hob ihr Glas und stieß mit ihm an. «Auf die Kopfjäger!»
    «Was hast du denn damals gemacht? Warst du auch in Borneo oder am Amazonas?»
    «Amazonas ist gar nicht so falsch. Ich war mit den Guerilleros von Che Guevara unterwegs und habe die unterdrückten Indios befreit. Nächtelang mussten wir durch Sümpfe und Urwälder reiten, litten unter Tropenfieber, den Angriffen von wilden Tieren und bösartigen Soldaten.»
    «Nicht schlecht!» Guerrini betrachtete Laura nachdenklich. «Und Che Guevara? Warst du in ihn verliebt?»
    «Eine Weile.»
    «Nur eine Weile?»
    «Ja, irgendwann wurde mir das Leben als Guerilla-Kämpferin zu anstrengend. Ich wurde dann Anführerin eines Amazonenstammes. Aber da war ich schon fünfzehn.»
    «Als Amazone kann ich mir dich gut vorstellen. Wildes wehendes Haar, ein schwarzes Pferd – die hatten doch Pferde?»
    «Ich hatte jedenfalls eins.»
    «Dachte ich mir. Und einen langen Speer, oder?»
    «Nein, Pfeil und Bogen.»
    «Ah, Pfeil und Bogen.»
    Der Wirt stellte einen Brotkorb auf den Tisch.
    «Männer wurden nur zu bestimmten Zeiten in unser Lager gelassen.»
    «Daran hat sich ja wohl bis heute wenig geändert, oder irre ich mich?»
    Laura lachte. «Eins zu null für dich, Angelo. Das war sehr gut!»
    «Und wahr, oder nicht?» Er beugte sich vor und sah ihr in die Augen.
    «Könnte was dran sein.»
    Er lehnte sich wieder zurück und betrachtete nun das Weinglas, drehte es langsam in seinen Händen.
    «Grazie. Wusstest du damals auch, dass die Amazonen nur den weiblichen Nachwuchs aufzogen und dass sie den kleinen Mädchen eine Brust ausbrannten, damit sie den Bogen besser halten konnten?»
    «Nein, aber heute weiß ich es.»
    «Bene. Bist du deshalb zur Polizei gegangen, weil du davon geträumt hast, Indios zu befreien und eine Amazone zu sein?»
    «So einfach ist es nicht, Angelo. Ein winziges, fast vergessenes Motiv vielleicht. Erst deine Kopfjäger und deine Frage haben mich wieder darauf gebracht. Bist du denn Polizist geworden, weil du einst mit einem Gummiboot imaginäre Abenteuer bestanden hast?»
    Guerrini brach ein Stück Brot ab, steckte es aber nicht in den Mund, sondern schien die großen Löcher im Teig zu studieren.
    «Ein bisschen vielleicht, außerdem habe ich als Junge immer davon geträumt, das Böse zu bekämpfen. Selbst Typen wie Enrico di Colalto gehörten für mich zum Bösen. Leute, die Macht ausüben und andere bedrohen, ihnen Angst machen. Es herrschte viel Angst im Italien der Siebzigerjahre. Erinnerst du dich an die Brigate Rosse , den Terror, die rechte Verschwörung und die vielen Entführungen der Mafia? Das war genau die Zeit zwischen meinem zehnten und zwanzigsten Lebensjahr.» Gedankenverloren zupfte Guerrini am Brot herum. «Kannst du dir vorstellen, was meine Freunde und ich damals gespielt haben? Nicht hier in Portotrusco, sondern in Siena?»
    Der Wirt erschien mit zwei dampfenden Tellern.
    «Ecco! Scampi e lepre! Buon appetito!»
    Köstlicher Duft stieg von den Nudeln auf, eine Mischung aus Knoblauch, Olivenöl, Tomaten und Kräutern.
    «Ich kann jetzt nicht weiterreden», murmelte Guerrini. «Diesen Sugo aus Tomaten und Hasenfleisch habe ich schon seit Jahren nicht mehr gegessen.»
    Laura nickte, angelte eines der roten Krustentiere aus ihren Spaghetti und schälte das rosige Fleisch heraus. Die Scampi waren ganz frisch, hatten diesen köstlichen, nussigen Geschmack. Erst nachdem sie ihre Teller geleert hatten, begann Guerrini wieder zu sprechen.
    «Das war ein guter Auftakt. Es geht doch nichts über kleine Pizzerie! Was wollte ich gerade erzählen?»
    «Was ihr in den Siebzigern gespielt habt. Das klingt irgendwie erschreckend historisch … na ja, selbst meine Kinder wurden im

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