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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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kehrte mit Guerrini zum Wagen zurück. Fabrizio lief neben ihnen her und entschuldigte sich noch einmal für die Unannehmlichkeiten.
    «Hör schon auf! Du kannst doch nichts dafür!», knurrte Guerrini. «Wer hatte denn gestern Abend Dienst?»
    «Ernesto, Ernesto Orecchio, Dottore. Der arme Kerl. So was ist hier noch nie passiert!»
    Guerrini klopfte dem Wachmann auf die Schulter, zuckte bedauernd die Achseln und wünschte ihm einen erträglichen Abend mit den Polizisten.
    Als sie wenig später auf die Straße nach Portotrusco einbogen, fragte Laura, weshalb Fabrizio ihn immer Dottore nannte. «Weiß er auch, dass du Commissario bist?»
    Guerrini schüttelte den Kopf. «Er weiß nur, dass ich Dottore bin. Das hat er vor Jahren schon mitbekommen, aber ich habe nie erzählt, dass ich bei der Polizei bin. Es ist angenehm, wenn die Leute es nicht wissen. Sie gehen einfach anders mit dir um.»
    «Aber Enrico di Colalto weiß es, oder?»
    «Natürlich. Mein Vater hat es ihm erzählt.»
    Laura lehnte sich im Sitz zurück und betrachtete Guerrinis Profil, das im Schein der Straßenlaternen aufleuchtete und wieder erlosch. Sie dachte an den jungen Abenteurer, der hinter den Kopfjägern von Borneo her war. Und liebte ihn in diesem Augenblick so sehr, dass ihr Herz schmerzte.
    «Du fragst ja gar nicht, warum ich die Kollegen geärgert habe.» Er warf ihr einen kurzen Blick zu, sie wandte schnell das Gesicht ab, verbarg ihr Gefühl vor ihm. Es war ihr Gefühl, jetzt gerade nicht für ihn bestimmt.
    «Willst du es wissen?»
    Sie nickte.
    «Ich möchte einfach nicht in die Sache hineingezogen werden. Mir ist sowieso schon wieder zu viel aufgefallen. Hast du dir das Nummernschild des Lieferwagens angesehen?»
    «Nicht genau. Ich habe nur gesehen, dass der Wagen in Bozen zugelassen wurde.»
    «Ich garantiere dir, dass dieses Nummernschild geklaut war, dass der Wagen keinerlei Identifikation hat. Aber das alles ist Sache der Kollegen und geht uns gar nichts an!»
    «Und der verschwundene Fahrer?»
    «Der auch nicht!»
    «Bene! Damit wäre alles geklärt, nur die Frage nach unserem Abendessen nicht.»
    «Die könnte sich etwas schwierig gestalten, da um diese Jahreszeit die meisten Restaurants geschlossen sind.»
    «Dieses Problem überlasse ich dir, Angelo.»
    Er nickte und versuchte sich an die Restaurants zu erinnern, die er vor langer Zeit besucht hatte. Er hatte keine Ahnung, ob sie überhaupt noch existierten. Es würde nicht ganz einfach werden.
     
    Stockdunkel. Als Ernesto Orecchio aufwachte, dauerte es ein paar Minuten, ehe er sich zurechtfand. Hatte etwas ihn geweckt? Ein Geräusch? War jemand an der Tür? Nur kein Licht machen! Das Paket! Das Paket unter seinem Bett. Sie waren dahinter her. Ganz sicher! Nicht nur hinter dem Paket, hinter ihm waren sie her. Er war ja der Einzige, der wusste, wo die Ladung war.
    Orecchio kroch aus dem Bett, schlich im Dunkeln in den Flur und lauschte an der Wohnungstür. Es war ganz still. Nein, nicht ganz. Von oben hörte er den Fernseher der Signora Crestina, von unten den seiner Mutter. Vielleicht war er von ganz allein aufgewacht, und kein Mensch war hinter ihm her. Für die war es wahrscheinlich sicherer, ein paar Tage zu warten, bevor sie nach ihm suchten. Im Augenblick konnte ihm nichts passieren. Sie dachten nicht einmal daran, hier aufzutauchen. Hoffentlich.
    Orecchio lehnte sich an die Wand neben der Wohnungstür, legte die Hand auf seine Brust und spürte das flatternde Pochen seines Herzens. Er durfte sich nicht dauernd so aufregen. Wenn man sich aufregte, konnte man nicht gut denken, außerdem war es schlecht fürs Herz. Kalte Füße hatte er außerdem. Die Bodenkacheln fühlten sich an wie Eis oder wie Angst. Jetzt fiel ihm ein, dass er nicht geduscht hatte. Er war in seinen Klamotten eingeschlafen, in diesen verschwitzten Klamotten, die ihn jetzt noch mehr anekelten als zuvor.
    Bloß kein Licht einschalten! Erst musste er auch im Schlafzimmer die Fensterläden schließen. Er stieß sich das Schienbein am Bett und fluchte leise.
    Sein Schlafzimmer war eher eine Kammer, so klein, dass gerade das Bett hineinpasste. Der Kleiderschrank stand im Flur. Während er sich das Bein rieb, wurde ihm die Existenz des Pakets unter seinem Bett geradezu körperlich bewusst. Als würde es Strahlen aussenden oder leuchten.
    Völliger Quatsch, dachte er und zwängte sich an seinem Bett vorbei zum Fenster. Lange schaute er auf die Straße hinunter, dann zur Altstadt und zur Burg hinüber, die sich

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