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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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mit Orgagnas Wappen geschmückten Kaminsims.

13
    »Carlo!«
    Rossanas leise, herrische Stimme ließ alle herumfahren. Der Haushofmeister richtete sich auf und sah sie an.
    »Signora?«
    »Bitte läuten Sie nach Concetta!«
    Er ging zur Klingelschnur und zog daran. Gleich darauf klopfte es, und Concetta trat ein. Einen Augenblick lang ruhte ihr erstaunter Blick auf der stummen Versammlung, dann wandte sie sich Rossana zu.
    » La signora wünschen?«
    »Meine Tasche, Concetta. Die große braune. Im zweiten Fach meines Schreibtisches.«
    »Subito, signora!«
    Sie ging. Die anderen musterten Rossana, als suchten sie in ihren Zügen eine Erklärung für den unbedeutenden kleinen Vorgang. Ohne jemand zu beachten, nahm die Herzogin eine Zigarette. Inspektor Granforte sprang auf und gab ihr Feuer.
    Carlo mixte einen Cocktail. Das Klimpern der Eiswürfel im Shaker übertönte das Ticken der Uhr. Noch immer sprach niemand – was sollten sie auch sagen? Es gab nichts zu sagen – nichts, was sich in scheinheilig-höfliche Worte hätte kleiden lassen.
    Plötzlich sprach Orgagna. Seine Stimme war rau und gereizt.
    »Können wir nicht Schluß machen damit, Inspektor? Schließlich ist die Situation für uns alle ziemlich peinlich.«
    »Am peinlichsten für mich selbst, Hoheit«, sagte Granforte sanft. »Ich muß Eure Exzellenz um Geduld bitten.«
    »Also gut.«
    Concetta kam mit der Tasche zurück, warf einen raschen Blick in die Runde und ging in die Küche, um dem Personal über das seltsame Benehmen der Herrschaften zu berichten.
    Rossana öffnete die Tasche, nahm eine kleine goldene Dose heraus und begann, sich die Nase zu pudern. Die anderen beobachteten sie, wie Kinder eine bewegliche Puppe im Schaufenster beobachten. Rossana fuhr fort, sich zu pudern, ohne von jemandem Notiz zu nehmen. Endlich schloß sie die Dose und steckte sie wieder in die Handtasche.
    Carlo goß ein. Wieder rief ihn Rossana.
    »Carlo!«
    »Signora?«
    »Einen Augenblick, bitte.«
    Den Bruchteil einer Sekunde schien er zu zögern, dann stellte er den Shaker und das Glas auf den Serviertisch, trocknete seine Hände sorgfältig an der Serviette und ging zu ihr. Er stand vor ihr, eine große, Achtung gebietende Gestalt, mit der ganzen Würde, die Alter und langjährige Ergebenheit verleihen.
    Rossana sah zu ihm auf. Ihre Stimme war sanft und freundlich.
    »Carlo, wie Sie vom Inspektor gehört haben, muß ich Sie bald verlassen. Es ist Sitte – gute Sitte –, einen ergebenen Diener beim Abschied zu beschenken. Wohl sind Sie meines Mannes Diener gewesen, doch haben Sie auch mir gedient. Und ich bin Ihnen dankbar. Hier ist mein Geschenk.«
    Sie entnahm ihrer Tasche einen dicken weißen Umschlag und reichte ihn Carlo.
    Er warf einen unsicheren Blick auf seinen Herrn. Orgagna nickte flüchtig. Carrese nahm den Umschlag und verbeugte sich steif. »Mille grazie, signora!« sagte er.
    »Prego!« Rossana ließ ihn nicht aus den Augen, während er zum Serviertisch zurückging, den Umschlag unentschlossen in den Händen haltend.
    Als Carlo Carrese den Tisch erreichte, sprach sie wieder, diesmal lauter und herrischer.
    »Öffnen Sie das Kuvert, Carlo!«
    Unter den Augen der Versammelten, die ihn verwundert beobachteten, fingerte er mit ungeschickten Händen an dem Umschlag herum. Granforte beugte sich weit in seinem Stuhl vor, die Hände auf die Lehnen gestützt, als wollte er sich jeden Augenblick auf den Alten stürzen.
    Endlich hatte Carlo den Umschlag aufgerissen. Er zog einen kleinen Packen Zeitungsausschnitte daraus hervor. Er stand zu weit von den anderen entfernt, als daß sie die Bilder darauf hätten erkennen können. Sie sahen nur die dunkelbraune Druckfarbe der großen italienischen Zeitschriften und die fettgesetzten Bildunterschriften.
    Langsam nahm Carlo die Abschnitte einzeln in die Hände, während seine Lippen die Unterschriften buchstabierten. Nach jeder einzelnen warf er ungläubige Blicke auf Elena, Orgagna und Rossana, bevor er noch einmal die Bilder betrachtete.
    Alle beobachteten ihn gebannt, als wäre er ein Schauspieler, der in meisterlicher Pantomime die Gefühlsregungen Schreck, Unglaube, Furcht, Ekel und schließlich auflodernden Hass vorspielte. Dann endete die Vorführung, und der Schauspieler sprach. Mit tiefer, langsamer Stimme stellte er die einfache Frage:
    »Würden Eure Hoheit mir bitte erklären, was das zu bedeuten hat?«
    »Es bedeutet«, sagte Rossana kalt, »daß der Mann, den Sie wie Ihr eigenes Kind großgezogen

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