Die Stunde des Fremden
waren sechs Photokopien von Briefen, die Dollar-Transaktionen, Zuteilungen von amerikanischem Saatgetreide für italienische Notstandsgebiete und gewisse Konten in Amerika betrafen.«
»Kauften Sie diese Dokumente?«
»Nein.«
»Nahmen Sie sie Garofano ohne Bezahlung ab?«
»Nein.«
Inspektor Granforte feuchtete seine Lippen an. Über sein volles Gesicht huschte die Andeutung eines Lächelns.
»Seine Hoheit haben ausgesagt, daß Ihre Hoheit während – hm – des Vorfalls im Hotel beobachtete, wie Sie gewisse Dokumente – oder einen Umschlag mit Dokumenten – aus der Tasche von Enzo Garofano nahmen. Stimmt das?«
»Nein.«
Granforte wandte sich schnell an Rossana.
»Haben Sie das zu Ihrem Herrn Gemahl gesagt, Signora?«
»Ja.«
Ashley sah das ganze Unglück kommen. Doch er war zu müde, weiterzukämpfen. Früher oder später würden sie doch dahinter kommen, und letzten Endes war die Wahrheit genauso schmutzig wie die Lügen, hinter denen man sie zu verstecken suchte.
»Wie erklären Sie sich diesen Widerspruch, Herr Ashley?«
»Sehr einfach. Rossana hat gelogen, um mich zu decken.«
»Ich danke Ihnen. Ich bin froh, daß Sie nicht aufs neue zu lügen versuchen. Nun …« Er ließ sich zurücksinken. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden. »Nun, wenn Madame einmal gelogen hat, um Sie zu decken – ist es dann nicht wahrscheinlich, daß sie auch ein zweitesmal log? Wegen einer viel wichtigeren Sache?«
»Ich verstehe nicht.«
»O doch. Sie log, genau wie Sie, in der Mordsache Enzo Garofano. Er wurde nicht vor Ihren Wagen gestoßen, Herr Ashley. Er war ganz einfach auf dem Heimweg. Sie sahen ihn, gaben Gas und überfuhren ihn. Sie nahmen die Dokumente aus der Aktentasche und gaben Sie Madame zur sicheren Aufbewahrung. Um Seine Hoheit zu erpressen, haben Sie sie mit hierher gebracht und gaben sie heute nachmittag, als Sie fürchteten, vergiftet zu sein, Seiner Hoheit zurück. Der Herzog hat sie mir ausgehändigt.«
Er zog den braunen Umschlag mit den Photokopien aus seiner Brusttasche.
Ashley war sprachlos. Irgend etwas stimmte da nicht!
Was heißt ›etwas‹? Nichts stimmte – nichts paßte mehr zusammen!
Der Inspektor beobachtete ihn genau. Erst als Ashley seiner Stimme sicher war, fragte er den Inspektor:
»Darf ich einmal sehen?«
Zu seiner Überraschung überreichte ihm Granforte den Umschlag anstandslos. Ashley fächerte die Photokopien wie Spielkarten in seiner Hand auf: sie hatten nicht das geringste mit Orgagnas geschäftlichen Transaktionen zu tun. Es waren sechs vollkommen harmlose Briefe, die aus irgendeinem Briefordner genommen und photokopiert worden waren. Er steckte sie in den Umschlag und gab sie zurück.
»Nun, Herr Ashley?«
»Das sind ganz andere Briefe.«
Granforte spreizte mit einem geduldigen Lächeln die Hände.
»Sie wollen sicherlich sagen, Garofano versuchte, Sie mit diesen wertlosen Briefen zu betrügen. Sie konnten das nicht ahnen. Hätten Sie es geahnt, hätten Sie und die Herzogin der Dinger wegen gewiß keinen Mord geplant – und auch nicht den Ruin des Ehemannes der Frau, die Sie lieben. Als Sie den Betrug entdeckten, entschlossen Sie sich zu einer Erpressung.«
Ashley sah erst Orgagna, dann Rossana an, Sie hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben, er sah mit ausdruckslosen Augen vor sich hin. Elena Carrese beobachtete ihn mit glänzenden Augen; ihre Finger öffneten und schlossen sich rastlos.
»Haben Sie etwas dazu zu sagen, Herr Ashley?«
»Ja, das habe ich!« Er nahm alle Kraft zusammen. »Sie sehen es, wie Sie es sehen wollen, weil keiner von Ihnen allen will, daß die Wahrheit ans Licht kommt. Trotzdem werden Sie sie jetzt hören! Die ganze Sache ist ein raffinierter Betrug. Heute nachmittag gab ich Orgagna die echten Briefe. Elena Carrese hatte sie mir überlassen, weil sie glaubt, daß Enzo Garofano, ihr Halbbruder, einer in diesem Haus und von dieser Familie geplanten Verschwörung zum Opfer gefallen ist. Er hatte die Kopien mit ins Hotel gebracht und sie ihr sicherheitshalber vor unserer Verhandlung übergeben. Als wir stritten und er davonlief, hob sie sie für ihn auf. Aber er kam nie mehr zurück. Ich habe keine Beweise dafür, aber ich bin sicher, daß er in einen Wagen gezerrt und hierher gebracht wurde. Ich weiß bestimmt, daß Roberto, der Barmixer, auftragsgemäß hier anrief, um zu berichten, daß Rossana und ich das Hotel verlassen hatten. Man wartete auf uns. Und man wußte genau, daß jeder auf dieser Straße
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