Die Stunde des Löwen
hatte an ihrem Tisch nur noch eine Serviette gelegen, auf der mit Lippenstift »Sorry« geschrieben stand.
»Kommst du mal bitte?«, holte ihn Mannfeld in die Gegenwart zurück.
»Ich? Ãh ⦠ja, wohin?«
»Zu mir ins Wohnzimmer.«
Er traf Mannfeld am Sekretär neben dem Fenster an.
»Schau mal«, forderte sie ihn auf und deutete auf die lederne Schreibtischunterlage.
Ohne zu wissen, was sie meinte, starrte er zunächst auf die Eintrittskarte für eine Vorstellung der Forsythe Company, dann auf die Mitgliedskarte eines Fitnessstudios. Erst beim dritten Hinsehen entdeckte er das gelbe Post-it, das am Leder haftete. »Montag 20.30  Uhr Lakai« , war darauf vermerkt, darunter eine Telefonnummer. Er nickte. »Ungefähr um die Zeit hat die Tassen im Sheraton eingecheckt.«
»Richtig«, entgegnete Mannfeld, »und wenig später wurde sie ermordet.«
»Da bin ich aber mal gespannt, wer mit âºLakaiâ¹ gemeint ist.« Born holte sein Handy aus der Tasche und wählte die notierte Nummer.
Dreimal klingelte es durch. Dann meldete sich die Stimme eines älteren Herrn, der sich als Simon Patenstein vorstellte.
DREI
Der See, in dem Hugo Bruckner ertrunken war, lag etwa dreiÃig Kilometer östlich von Frankfurt. Die Anfahrtsbeschreibung und den Schlüssel zu dem Anwesen hatte er von Klaus Bruckner erhalten. Ein Schlagbaum versperrte die Zufahrt zu dem nahe dem Ãrtchen Kahl gelegenen Grundstück. Die mehrere Zentimeter dicke Schneeschicht auf der oberen Holmrundung lieà den Schluss zu, dass die Schranke während der letzten Tage nicht geöffnet worden war.
Mit vor Kälte klammen Fingern machte sich Fremden am Vorhängeschloss zu schaffen. Als es endlich aufschnappte, hörte er in der Ferne einen Vogel schreien, eine Krähe vermutlich.
Nachdem er weitere fünf Minuten über einen vereisten Waldweg gefahren war, parkte er direkt vor dem Ferienhaus. Die Augen mit den Händen beschattend, spähte er durch die Reihe kahler Bäume über den See. Am gegenüberliegenden Ufer erstreckte sich ein schneebedeckter Badestrand mit einem einstöckigen Flachbau in der Mitte. An der AuÃenwand des Hauses prangte ein groÃes rotes Kreuz. Etwa fünfzig Meter neben der Rettungsstation stand ein Blockhaus. Ein Schild mit Eiscremewerbung deutete darauf hin, dass es sich um einen Kiosk handelte.
Die Bruckners waren auf ihrer Seite des Sees wohl weitgehend ungestört gewesen. Vielleicht hatte an heiÃen Sommertagen der Wind die Stimmen der Badenden übers Wasser zu ihnen getragen. Doch im Grunde hätten sie, vom Uferbewuchs geschützt, splitterfasernackt über den Bootssteg tollen und sich sogar hemmungslos im Freien lieben können, ohne bemerkt zu werden.
Die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben, näherte sich Fremden dem im skandinavischen Baustil errichteten Ferienhaus. An weiten Teilen der Holzfassade blätterte der rote Anstrich ab. Die Dielen gaben ein bedrohliches Knarren von sich, als er über die Veranda zur Eingangstür lief.
Im Wohnzimmer empfing ihn ein modriger Geruch. Feuchtigkeit hatte ganze Lagen der Tapete von den Wänden gelöst. Mitten im Raum stand eine von Rost überzogene Hollywoodschaukel. Eine der Fensterscheiben war zerborsten. Unter die Glasscherben am Boden mischten sich Blätter und Erde und auch irgendwelche Bruchstücke aus buntem Porzellan. Sämtliche Möbel waren von einer schmierigen Staubschicht bedeckt. Der Korbstuhl in der Ecke schimmelte. In der Vitrine lagerte Geschirr. CD -Hüllen stapelten sich neben der Kompaktanlage, und der Fernseher war noch über das Kabel mit der Steckdose verbunden.
Es war kaum zu übersehen, dass Klaus Bruckner nicht das geringste Interesse an dem Ferienhaus hatte. Es schien ihm auch gleich zu sein, ob etwas gestohlen wurde oder das Interieur Vandalen anheimfiel. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, die Klappläden an den Fenstern zu schlieÃen.
Die Küche befand sich im rückwärtigen Teil des Hauses. Dort hatte Amelie Bruckner das Abendessen zubereitet, als ihr Mann in den See gestürzt war. Auch hier herrschte ein heilloses Durcheinander. Benutztes Geschirr türmte sich im Spülstein, und auf dem Herd reihte sich eine kleine Armada aus schmutzigen Töpfen aneinander. Wahrscheinlich verrottete in einem noch das halb gar geschmorte Lammragout.
Neben dem Kühlschrank
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