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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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Dank. Der Mann hatte Tränen in den Augen gehabt, als er voller Theatralik vom zweiten Geburtstag sprach, den seine Ehefrau nun feiern durfte. Das war ihm ebenso unangenehm gewesen wie das Schulterklopfen im Kreis der Kollegen. Er war nicht zum Helden geboren und wusste mit der Rolle auch schlecht umzugehen.
    Tage später, beim Landgang in Alexandria, hatte ihn Hugo Bruckner erneut beiseitegenommen und bei einem Besuch im Suq von seinem Bestattungsunternehmen geschwärmt. Wenn er einmal wieder festen Boden unter den Füßen haben wolle, bot er an, für einen Pfundskerl wie ihn habe er immer Arbeit. Als er seines skeptischen Blickes gewahr wurde, versicherte er, dass es bei Pietät Bruckner auch reizvollere Tätigkeiten gab, als Leichen zu waschen.
    Doch er hatte sich nur auf dem Vorplatz des Basars umgesehen und zu dem Angebot geschwiegen. Schon damals hatte er viel von der Welt gesehen. Wenn auch nur als einfacher Steward in schneeweißer Uniform. Aber gerade das hatte ihm schon so manche Tür geöffnet. Kaum vorstellbar, dass er dieses Leben einmal gegen einen Job in Frankfurt eintauschen würde.

VIER
    Als Fremden aufwachte, hatte er eine Kindheitserinnerung vor Augen: der Onkel, den Oberkörper über die Olympia-Schreibmaschine gebeugt. Beim Tippen hängt ihm eine pomadisierte Haarsträhne in die Stirn. Als Fremden ihn fragt, was er denn Tolles schreibt, antwortet er in mechanischem Tonfall: »Berichte, mein Junge. Wichtige Berichte.«
    Mit klammen Fingern öffnete Fremden den Reißverschluss des Schlafsacks. Sofort drang ein kühler Luftzug an seine Brust. Er streifte sich eilig die Jeans über und hoffte, dass die Heizung über Nacht nicht wieder den Dienst versagt hatte. Doch gerade als er die Kellertreppe hinabsteigen wollte, um nachzusehen, hörte er die Zündung mit einem lauten Fauchen anspringen.
    In der Küche setzte er Kaffee auf. Das Gluckern der Maschine im Ohr, überlegte er, wie er den Tag sinnvoll angehen sollte. Den Kühlschrank auszuwaschen war eine Option. In den Baumarkt zu fahren und einen Teil von Bruckners Anzahlung in Bretter, Planen, Werkzeug und Mörtel zu investieren eine andere. Eine weitere bestand darin, Bruckner zu kontaktieren und ihm das Jagdfoto zu faxen. Anschließend könnte er ihn befragen, ob er von der Reise nach Moldawien Kenntnis hatte und ob er außer seinem Vater noch jemanden auf der Aufnahme kannte. Die Gefahr, dass Bruckner seinen Onkel erkannte und er sich durch diese Aktion selbst enttarnte, tendierte gegen null. Denn falls der Bestatter tatsächlich wusste, wie sein Onkel aussah, hätte ihm schon bei ihrer ersten Begegnung klar sein müssen, dass er nicht derjenige war, für den er ihn hielt.
    Fremden entschied sich für Option drei. Der Rückruf, um den er Bruckner auf dem Fax gebeten hatte, erreichte ihn, als er sich in der Küche an einem Schluck Kaffee die Zunge verbrannte.
    Â»Schönes Foto, das Sie mir da geschickt haben.«
    Â»Kennen Sie es?«
    Â»Nein, ich sehe es zum ersten Mal.«
    Â»Ich habe es gefaxt, weil ich wissen möchte, ob Sie die Personen darauf kennen.«
    Den Moment der Stille, in dem Bruckner das Foto vermutlich noch einmal eingehend betrachtete, nutzte Fremden, um seine Zunge mit einem Schluck Leitungswasser zu kühlen.
    Â»Die drei anderen Jäger …«, hörte er ihn schließlich gedehnt sagen. »Ich weiß nicht so recht. Ich vermute aber, dass das Bild bei Gießen aufgenommen wurde.«
    Â»Wie kommen Sie denn auf Gießen?«
    Â»Vater hatte dort ein Jagdrevier gepachtet.«
    Â»Ich gehe davon aus, dass es in Moldawien geschossen wurde.«
    Â»In Moldawien?«, fragte Bruckner überrascht. »Wie kommen Sie denn auf Moldawien?«
    Â»Wegen eines Vermerks auf der Rückseite. Erkennen Sie noch jemanden außer Ihrem Vater?«
    Â»Der große schlanke Mann ganz rechts im Bild kommt mir bekannt vor. Vielleicht aber auch nur, weil er einem ehemaligen Physiklehrer von mir ähnelt. Die anderen beiden habe ich noch nie gesehen.«
    Â»Sind Sie da sicher?«
    Â»Fast hundertprozentig. Ich habe Ihnen ja bereits gesagt, dass ich durch meinen Aufenthalt in den USA vom Privatleben meiner Eltern jahrelang so gut wie nichts mitbekommen habe.«
    Auf Bruckners Frage, woher er das Foto hatte, antwortete Fremden, dass er es in archivierten Unterlagen gefunden habe.
    Â»In welchen Unterlagen?«, hakte Bruckner

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