Die Stunde des Löwen
nach.
Das war der Moment, in dem Fremden gehörig ins Schleudern geriet. So abstrakt es nur irgendwie ging, sprach er von alten Ermittlungen.
»In welcher Angelegenheit waren Sie denn für meinen Vater tätig?«
»Darüber darf ich Ihnen keine Auskunft erteilen. Ich bin meinen Klienten gegenüber zur Verschwiegenheit verpflichtet.«
»Hören Sie, Herr Fremden, mein Vater ist seit über sechs Jahren tot. Um seine Interessen zu schützen, braucht niemand mehr zu schweigen. Und am wenigsten mir gegenüber. Ich denke, ich habe ein Recht zu erfahren, um was es bei diesen Ermittlungen ging.«
»Ihr Vater ist damals erpresst worden.«
»Erpresst«, stieà Bruckner hervor. »Das hat er nie erwähnt. Weshalb hat man ihn denn erpresst?«
»Daraus machte er ein Geheimnis.«
»Wie? Vater hat es Ihnen nicht gesagt? Wie ist die Sache denn ausgegangen?«
»Nach einer missglückten Geldübergabe hat sich der Erpresser nicht mehr gemeldet«, sagte Fremden. Das war blind aus der Hüfte geschossen.
Nachdem er aufgelegt hatte, nippte er an dem mittlerweile lauwarm gewordenen Kaffee. Glücklicherweise hatte Bruckner, was den Erpressungsfall anbelangte, nicht weitergebohrt. Bereitwillig hatte er sich von der Frage ablenken lassen, ob sein Vater Nichtschwimmer gewesen war. »Ganz im Gegenteil«, hatte er geantwortet und von gemeinsamen Strandurlauben am Mittelmeer erzählt. Von einer Reise nach Moldawien hatte er allerdings nichts gewusst. Fremden schaute aus dem Fenster zu der kleinen Herde Haflinger auf der Koppel. Wenn Hugo Bruckner nun â wie von Fremdens Onkel vermutet â wegen eines Vorfalls in Moldawien erpresst worden war und es â wie von Fremden vermutet â einen Zusammenhang zwischen der Erpressung und dem nur wenige Wochen darauf erfolgten tödlichen Sturz in den See gab, lieà das nur eine logische Schlussfolgerung zu: Hugo Bruckner war aus einem Grund, der irgendetwas mit dieser Reise nach Südosteuropa zu tun hatte, ermordet worden.
Am Hessenplatz Nummer 5 standen zwei Namen an der Klingel zur Dachgeschosswohnung. Der von Liliana Bode und der eines ihm unbekannten Mannes. Einen Moment lang bereute Fremden, dass er sich für persönliches Aufkreuzen anstatt für einen Anruf entschieden hatte.
Es dauerte ein, zwei Minuten, bis er sich durchs schummerige Altbautreppenhaus in den obersten Stock gearbeitet hatte. Liliana Bode erwartete ihn barfuà an der Wohnungstür. Sie trug weit geschnittene Boyfriend-Jeans. Ihren Oberkörper umhüllte ein schlabberiges Baumwollshirt mit V-Ausschnitt.
»Na so was. Das nenne ich aber mal âne Ãberraschung.«
»Ich hoffe, keine allzu unangenehme«, erwiderte Fremden. »Und sorry, dass ich Sie einfach so in Ihren vier Wänden überfalle. Aber ich war vorhin im âºKing of Asiaâ¹, und da hat man mir gesagt, dass Sie heute Ihren freien Tag haben.«
»Wie haben Sie denn herausbekommen, wo ich wohne?«, fragte Liliana Bode und strich sich über ihre roten Haare, die sie heute offen trug.
»Von einem Ihrer Kollegen.«
»Der hat einfach so meine Adresse rausgerückt?«
»Nicht einfach so«, sagte Fremden und verfluchte sich zum zweiten Mal, dass er nicht zum Hörer gegriffen hatte. »Ehrlich gesagt, habe ich behauptet, dass ich ein Cousin von Ihnen und auf der Durchreise bin.«
Ohne sein Geständnis zu kommentieren, bat ihn Liliana Bode, ihr zu folgen. Im Wohnzimmer hätte er beinahe das Rennrad umgestoÃen, das neben der Tür an der Wand lehnte. Während er auf dem zweisitzigen Sofa Platz nehmen durfte, lieà sich Liliana Bode auf einem knallgrünen Gymnastikball nieder.
»So, jetzt bin ich aber mal gespannt, was mein Cousin von seiner Reise berichtet.« Die Hände locker auf die Oberschenkel abgestützt, schaute sie ihn spöttisch an.
»Verstehen Sie das jetzt bitte nicht falsch, aber ohne diesen kleinen Trick hätte ich nie â¦Â« Fremden spürte, dass er errötete, und als Liliana Bode leise zu lachen begann, beeilte er sich fortzufahren: »â¦Â Ihre Privatadresse herausbekommen. Und mit dem Thema Reisen hat mein Besuch tatsächlich zu tun. Gestern haben Sie mir erzählt, dass Sie für Ihren Chef früher öfter Auslandsreisen gebucht haben.«
»Stimmt«, antwortete Liliana nun wieder eine Spur ernster. »Für ihn und manchmal auch für diverse
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