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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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plötzlich wieder. Zwei Lichtkegel, die durchs Unterholz streiften. Doch diesmal wurde das Schauspiel vom leisen Brummen eines Motors untermalt.
    Schreiend sprang er auf und rannte los, so schnell er es vermochte. Minuten später trennte ihn nur noch ein Graben von der Fahrbahn. Mit angehaltenem Atem durchschritt er klirrend kaltes Wasser. Niemals zuvor hatte ihn der Anblick einer Straße dermaßen bewegt. Es dauerte, bis das nächste Fahrzeug kam. Als das Scheinwerferlicht vor der Kuppe auftauchte, stellte er sich auf den Mittelstreifen und schwenkte die gefesselten Hände über dem Kopf. Er brüllte, als ihm der Wagen auswich. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er dem beschleunigenden Nissan Micra hinterher. Doch dann, als er schon drauf und dran war, vor Verzweifelung auf die Knie zu sinken, sah er, wie die Rücklichter des Nissan langsam auf ihn zukamen. Die wummernden Takte eines Rapsongs drangen durch die Karosserie zu ihm nach draußen. Als der Wagen neben ihm stehen blieb, erschien der Kopf eines jungen Asiaten am Fahrerfenster, der sich zaghaft erkundigte, ob er Hilfe benötige.
    Nachdem er zig Angebote, ihn ins nächste Krankenhaus zu fahren, ausgeschlagen hatte, setzte ihn sein Retter in Bad König ab. Fremden betrat das Fachwerkhaus durch die immer noch offen stehende Terrassentür. Mit letzter Kraft schleppte er sich ins Badezimmer und ließ heißes Wasser in die Wanne laufen. Skeptisch beobachtete er, wie die leicht mit Rost versetzte Brühe den Schmutz von den Keramikwänden löste. Er wischte jegliche hygienischen Bedenken beiseite, streifte sich den Bademantel von den Schultern und stieg in das dampfende, mit gräulichen Schlieren bedeckte Nass.
    Es brannte, als seine Haut mit dem Wasser in Berührung kam. Aber schon nach wenigen Minuten spürte er, dass sich seine Muskeln entspannten. Vorsichtig begann er, sich die Füße zu massieren. Sehr viel länger hätte er es nicht mehr im Freien ausgehalten. Auf seine Frage, weshalb er zuerst an ihm vorbeigefahren sei, hatte sein Retter namens Li Wang mit den Schultern gezuckt und kleinlaut zugegeben, er habe Schiss gehabt, die Notlage könne gefakt sein und er überfallen werden.
    Den Blick auf die altmodisch gemusterten Badezimmerkacheln gerichtet, überlegte Fremden, wie er in solch einer Situation gehandelt hätte. Wenn auf einsamer Straße ein aus dem Wald kommender Mann im Bademantel versucht hätte, ihn anzuhalten. Seine Gedanken schweiften zu den beiden Peinigern, die ihn in diese Lage gebracht hatten. Wer, zum Teufel, konnte ihm die auf den Hals gehetzt haben?
    * * *
    Â»Ich hoffe, du stehst auf mit Marzipan gefüllte Plunderstückchen.« Noch mit seinem Mantel bekleidet, reichte ihr Born eine Bäckertüte über den Schreibtisch. Das war es also, was er »noch kurz erledigen« wollte, als er auf der Rückfahrt vom Leichenfundort an einer Ampel in der Adickesallee aus dem Auto gesprungen war.
    Â»Du hast Frühstück besorgt? Was verschafft mir denn die Ehre?«
    Â»Ein kleines Dankeschön für deine Chauffeurdienste.«
    Lächelnd schaute sie in die Tüte. Sie hatte tatsächlich noch nichts im Magen und mochte Marzipan. Eine solch aufmerksame Geste hätte sie Born gar nicht zugetraut.
    Beim Verzehr der ersten Plunderhälfte ließ sie in Gedanken das Gespräch mit dem Jogger Revue passieren. Leider hatte der Mann keine weiteren Beobachtungen gemacht, die für die Ermittlungen von Nutzen gewesen wären.
    Â»Schon die zweite Frauenleiche innerhalb weniger Tage«, sagte sie und blickte Born über die beiden sie trennenden Schreibtischplatten hinweg an. »Und noch dazu haben wir nicht den blassesten Schimmer, wer die Tote sein könnte. Weder kennen wir ihren Namen noch ihre Nationalität. Wir wissen nicht einmal, ob sie aus Frankfurt kommt.«
    Â»Wenn ich mit dem Frühstück fertig bin, check ich im System die Vermisstenanzeigen.«
    Â»Es ist gar nicht gesagt, dass sie schon jemand vermisst.«
    Â»Meinst du«, nuschelte Born mit halb vollem Mund, »dass wir es mit demselben Täter wie bei Selma Tassen zu tun haben?«
    Â»Ich weiß nicht, ob das wünschenswert wäre.«
    Â»Warum nicht?«
    Â»Weil dann nicht auszuschließen ist, dass er weitermordet.«
    Born starrte einen Moment lang schweigend die Tastatur auf seinem Schreibtisch an, bevor er kopfschüttelnd sagte: »Ich glaube zwar,

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