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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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das Bad in der verschmutzten Wanne, das überwältigende Gefühl, es keine Sekunde länger in Bad König auszuhalten, der überstürzte Aufbruch und dann die Fahrt über verschneite Landstraßen, auf der sich die ersten Krankheitssymptome eingestellt hatten.
    Â»Na, von den Toten auferstanden?«
    Die Stimme der Erscheinung, die sich mit federnden Schritten und einer dampfenden Tasse in der Hand auf ihn zubewegte, hörte sich dumpf an.
    Â»Wer sind Sie?« Es kostete ihn einige Kraftanstrengung, die Tasse entgegenzunehmen und sie nicht vor Müdigkeit aus der Hand gleiten zu lassen.
    Â»Das weißt du doch. Schließlich hast du mich angerufen.«
    Â»Angerufen?«
    Â»Ja, angerufen. Am Telefon hast du phantasiert, man habe dich hängen wollen, und mich um Hilfe gebeten. Zuerst wollte ich die Polizei rufen. Doch dann hab ich mich entschlossen, selbst nach dem Rechten zu sehen.«
    Â»Mir ist schwindelig.«
    Â»Das kommt sicher von den Tabletten.«
    Â»Welche Tabletten?«
    Â»Schlaftabletten«, antwortete das Wesen, das wie Liliana Bode aussah, und hielt ihm eine angebrochene Medikamentenpackung vor die Nase.
    Â»Wie sind Sie in meine Wohnung gekommen?«
    Â»Ich habe geklingelt, und du hast geöffnet. Dann hast du mir erzählt, dass dich zwei Männer im Wald ausgesetzt haben. Schlaf noch ein bisschen«, riet sie ihm. »Ich gehe jetzt und komme später wieder. Dann bring ich auch was zum Essen mit.«
    Als er das nächste Mal die Augen aufschlug, schien ihm die schräg durchs Fenster einfallende Sonne ins Gesicht. Er hatte keine Ahnung, wie lange er geschlafen hatte. Immer noch gerädert und erschöpft wie nach einem Marathonlauf, drehte er den Kopf zur Seite. Ziellos wanderte sein Blick durchs Apartment. Die Konturen der Möbel und die seiner auf dem Boden verstreuten Kleidung nahm er jetzt wieder einigermaßen scharf wahr. Eine getrübte Sicht als Nebenwirkung eingenommener Schlafmittel gehörte wohl ebenso zur Handlung seines wirren Traums wie die Tee servierende Liliana Bode. Dabei hatte an ihr alles so verdammt echt gewirkt. Bis aufs kleinste anatomische Detail, wie beispielsweise den tropfenförmigen Leberfleck an ihrem Kinn. Den Pfefferminztee hatte er absolut realistisch auf der Zunge geschmeckt, ebenso wie er deutlich die Berührung ihrer Hand gespürt hatte, als sie zum Abschied aufmunternd über seinen Arm gestrichen hatte.
    Auf dem Weg ins Bad merkte er, dass er noch recht schwach auf den Beinen war. Sein Schädel brummte, und beim Pinkeln fuhr ihm ein leichter Schauer über den Rücken. Niesend klemmte er sich das Fieberthermometer in die Achselhöhle. Während er auf das Messresultat wartete, fragte er sich erneut, wer ihm in der vergangenen Nacht die beiden Angreifer auf den Hals gehetzt haben könnte. Er sollte keine dummen Fragen mehr stellen. In welches Wespennest hatte er da nur hineingestochen? Wer hatte ein Interesse daran, dass er seine Ermittlungen einstellte? Im Grunde brauchte er nicht lange zu überlegen. Ohne dass er es auch nur irgendwie forcierte, tauchte Rosens Gesicht auf seiner inneren Leinwand auf. Auf die Nacht angesprochen, die er und Bruckner nicht im Hotel verbracht hatten, hatte er geantwortet, sie hätten in Moldawien eben nicht nur Wild gejagt. Ob bei dem Mann schon in diesem Moment der Entschluss festgestanden hatte, ihn einschüchtern zu lassen?
    Das Thermometer war auf den alarmierenden Stand von 39,2   Grad Celsius geklettert. Fremden holte zwei Aspirin aus dem Alibertschränkchen. Nach Einnahme der Tabletten musterte er im Spiegel sein deformiertes Gesicht. Eine schmerzhafte Schwellung zog sich von der rechten Hälfte des Jochbeins bis hinunter zur Kinnpartie. Vermutlich hatte er sich die Verletzung zugezogen, als er nach dem Kappen des Seils auf dem Waldboden aufgeschlagen war.
    Den brutalen Überfall auf ihn wertete er mittlerweile als stärkstes Indiz dafür, dass Hugo Bruckner tatsächlich ermordet worden war. Denn wäre der Bestatter damals durch eigenes Verschulden ertrunken, bräuchte sich heute niemand vor dem Ergebnis seiner Ermittlungen zu fürchten und ihn unter Druck zu setzen. Doch wie sollte er auf den Warnschuss reagieren? Den Schwanz einziehen oder weiterermitteln?
    Als er das Bad verließ, verspürte er ein leichtes Hungergefühl. Dass sie in wenigen Stunden mit etwas zu essen wiederkäme, war der verheißungsvollste

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