Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
Vom Netzwerk:
den Asphalt. Fremden gelang es gerade noch rechtzeitig, die Szene mit der Handykamera festzuhalten, bevor das Grüppchen in einem Chrysler-Transporter mit getönten Scheiben verschwand.
    Mit immer noch flach eingestellter Rückenlehne nahm er die Verfolgung auf. Doch schon nach etwas mehr als dreißig Kilometern war die Fahrt wieder zu Ende. Am Rande eines Industriegebiets in Dreieich steuerte der Chrysler-Transporter den Parkplatz eines Eroscenters an. Rote Lichter in Herzform blinkten in den Fenstern des ersten Stockwerks. Von außen wirkte das »Petit Flair« wie ein Bordell der unteren Preiskategorie. Wie einer der vielen Sauna-Clubs, die in Zeitungen und auf Taxitüren mit Flatrate-Sex-Tarifen warben.
    Nur etwa ein Dutzend Pkws befanden sich auf dem Parkplatz, der von der Straße nicht einsehbar war. Die meisten führten auswärtige Kennzeichen. Etwas abseits, unter einer mit Schnee beladenen Weide, parkte eine Familienkutsche mit einem »Lukas on Board«-Aufkleber auf der Heckscheibe. Die anderen Wagen – fast ausschließlich Mittelklassetypen – standen unweit des Eingangs.
    Als der Wasserstoffblonde die Frauen zu einer Tür im Seitenflügel des Gebäudes lotste, gelang es Fremden, drei, vier einigermaßen scharfe Aufnahmen zu machen. Nachdem die fünf im Inneren des »Petit Flair« verschwunden waren, blieb er noch eine Weile hinter dem Steuer des Peugeots sitzen und stierte durch die allmählich beschlagende Windschutzscheibe. Während er mit dem Jackenärmel ein kleines Guckloch freiwischte, fragte er sich, welche Rückschlüsse die Beobachtungen zuließen, die er in den letzten Stunden gemacht hatte. In erster Linie, dass Rosen sich für Hugo Bruckners Erpressung interessierte und offenbar seine Finger im Prostitutionsgeschäft hatte. Hinter der Fassade des lauteren Managers, der Pianisten und Geiger an Bühnen und Ensembles der ganzen Welt vermittelte, verbarg sich allem Anschein nach ein das Rotlichtmilieu mit »Frischfleisch« beliefernder Menschenhändler. War das am Ende das wahre Motiv für die Reisen nach Moldawien? Um Mädchen unter Vorhaltung falscher Versprechen nach Deutschland zu locken und an Bordelle zu verhökern? Manchen war ja bereits in ihrer Heimat klar, dass sie ihre Körper an Männer würden verkaufen müssen, aber nicht, zu welch unwürdigen Bedingungen. Aus der Entfernung hatten die Frauen durchaus so ausgesehen, als ob sie aus Osteuropa stammen könnten.
    Doch was bedeutete das für seine Ermittlungen im Todesfall Bruckner? Falls es tatsächlich stimmte, dass Rosen Frauen aus Moldawien importierte, war Bruckner zu Lebzeiten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in die Rotlichtgeschäfte involviert gewesen. Neben dem gepachteten Revier, das als glänzende Tarnung und Legitimation für die Reisen nach Osteuropa gedient haben könnte, deutete auch die Nacht, in der Rosen und Bruckner sich von den Jagdfreunden abgesetzt hatten, und ihr geheimniskrämerisches Verhalten am folgenden Morgen darauf hin. Gut möglich, dass Bruckner wegen seiner Rotlichtgeschäfte erpresst worden war, wobei weiterhin offenblieb, wer der Erpresser und spätere Mörder war. Rosen oder der berühmte geheimnisvolle Unbekannte?
    Sowohl den Haupt- als auch den Seiteneingang des »Petit Flair« im Blick, überlegte Fremden, ob es überhaupt noch Sinn machte, sich weiter auf die Lauer zu legen. Dass sich in dieser Nacht noch etwas Bahnbrechendes ereignete, glaubte er nicht. Er hatte zu sehen bekommen, was es zu sehen gab. Allmählich spürte er, wie ihm die Müdigkeit in die Glieder kroch. Es konnte noch ewig dauern, bis der Wasserstoffblonde das Eroscenter verließ. Wo er ihn notfalls antreffen konnte, wusste er mittlerweile. Diesen letzten Weg hatte der Mann nicht zum ersten Mal gemacht, das war Routine.
    Im festen Glauben, dass sich die Observation als voller Erfolg erwiesen hatte, startete er den Motor und dachte in stiller Vorfreude an die Aufnahmen, die auf der Chipkarte seines Handys gespeichert waren. Brisantes Fotomaterial besaß er nun in Hülle und Fülle. Während er den Wagen auf die Bundesstraße zurücklenkte, tauchte vor seinem inneren Auge plötzlich noch eine ganz andere Fotografie auf. Die mit den vier Jägern auf dem Spirituosenschränkchen in Bad König. Rätselhaft war, welche Rolle sein Onkel in dem Gefüge gespielt hatte. War er

Weitere Kostenlose Bücher