Die Stunde des Löwen
zurückrief.
»Mir ist da noch etwas eingefallen«, hörte er Vera Kaczorowski sagen. »Etwas, was Sie bestimmt interessieren wird.«
»Und das wäre?«
»So einfach geht das nicht, verehrter Herr Detektiv. Ich hab doch schon beim letzten Mal deutlich gemacht, dass ich nur Auskünfte erteile, wenn ich Ihnen dabei in die Augen sehen kann.«
»Aber ⦠aber da wollten Sie mich doch nur treffen, weil sie mich noch nicht persönlich kannten. Heute kennen Sie mich und können mir auch am Telefon sagen, was Sie auf dem Herzen haben.«
Einige Sekunden lang blieb es still in der Leitung.
Fremden stellte sich vor, wie Vera Kaczorowski mit dem Hörer in der Hand auf dem Schemel im Flur saà und sich sein Argument durch den Kopf gehen lieÃ.
»Amelie Bruckner hat ein dunkles Geheimnis gehütet«, sagte sie schlieÃlich rau.
»Ja?«, hakte er nach, als sie nicht weitersprach.
»Das Geheimnis gebe ich erst preis, wenn Sie zu mir durch den Wald reiten.«
So lief also der Hase. Das hatte Madame sich ja fein ausgedacht. Für wie bescheuert hielt sie ihn? Dachte sie, dass er beim zweiten Besuch ihren abscheulichen Tee kaufen würde? Oder plante sie, ihm diesmal etwas zu kredenzen, was ihn willenlos machte? Zu ihrem Leibeigenen, der sein restliches Leben im Wald an ihrer Seite verbringen würde? Nur weil sie sich ein bisschen einsam fühlte.
Er lachte.
»Da brauchen Sie gar nicht so merkwürdig zu lachen. Heute Nachmittag zum Beispiel würde es mir gut passen.«
»Mir aber nicht«, erwiderte er so ernst wie möglich. »Aber vielen Dank für das freundliche Angebot.«
Eineinhalb Stunden später traf er in der fast menschenleeren Freiherr-vom-Stein-StraÃe ein. Diesmal parkte er direkt vor dem Tor der Gründerzeitvilla. Um sich in eine Art kämpferische Stimmung zu versetzen, betrachtete er auf dem Display seines Handys noch einmal die Fotos der vergangenen Nacht. Obwohl einige der Bilder unterbelichtet waren, würden sie den Zweck der Dokumentation dennoch erfüllen.
Als er auf den Klingelknopf der Konzertagentur drückte, malte er sich Rosens verdutzten Gesichtsausdruck aus, wenn er ihn mit den Aufnahmen konfrontierte.
Ob er einen Termin habe, erkundigte sich die japanisch aussehende Bürotante in dem mausgrauen Wollkostüm, die ihn durch den Türspalt hindurch musterte.
»Den benötige ich nicht«, antwortete er und überreichte ihr eine Visitenkarte. »Richten Sie Herrn Rosen bitte einfach nur aus, dass ich ihn sprechen möchte.«
Die Miene zu einer Grimasse verzogen, als hätte er ihr ein Pornobildchen in die Hand gedrückt, schaute sie auf die Karte. Dann verschwand sie im Hausflur.
Nicht einmal eine Minute später kehrte sie zurück.
»Herr Rosen möchte Sie jetzt nicht empfangen. Es gab einen Trauerfall in der Familie. Aber wenn Sie mir sagen, in welcher Angelegenheit Sie meinen Chef zu sprechen wünschen, werde ich gern nachsehen, ob er kommende Woche einen Termin für Sie frei hat.«
Als er in das Parkhaus »MyZeil/PalaisQuartier« fuhr, fing es wieder an zu schneien. Was ihn in die Innenstadt geführt hatte, wusste er selbst nicht. Vielleicht war es einfach nur der Wunsch gewesen, sich nach der Niederlage ein wenig treiben zu lassen.
An der Hauptwache hörte er eine Weile einem bärtigen Spinner zu, der lauthals dafür plädierte, in Deutschland die Scharia einzuführen. Als er der Hasspredigt überdrüssig wurde, marschierte er zum Starbucks am Börsenplatz. Ein Cappuccino und ein Schoko-Muffin. Kulinarische Trostpflaster, die ihm darüber hinweghelfen sollten, dass er sich von der japanischen Schnepfe wie ein Schuljunge an der Tür hatte abservieren lassen. Die profanste aller Möglichkeiten â einfach nicht zu Rosen vorgelassen zu werden â hatte er gar nicht einkalkuliert.
Mit dem Tablett in der Hand setzte er sich ans Fenster, von wo aus er einen hervorragenden Blick auf den auf der StraÃe vorbeiziehenden Menschenstrom hatte. Während er abwechselnd in seinen Muffin biss und sich einen Schluck Cappuccino gönnte, überlegte er, wie er bei Rosen einen zweiten Anlauf starten könnte. Den Konzertmanager vor seiner Villa abpassen wollte er nicht, denn dazu würde er sich wieder für eine gänzlich unbestimmte Zeit auf die Lauer legen müssen. Ihn telefonisch zu kontaktieren erschien ihm auch nicht die optimale
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