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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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tatsächlich nur mit nach Moldawien gereist, um Böcke und Hirsche zu erlegen? Oder war er in die dunklen Machenschaften verstrickt gewesen?

ZEHN
    Um kurz nach zehn trat Mannfeld durch die Schleuse der Intensivstation. Während sie ihre Locken unter das Haarnetz schob, beobachte sie eine Krankenschwester, die einen mit Tee und Geschirr beladenen Rollwagen über den Flur schob. Dann betrat sie mit Dr.   Brunner das Zimmer des Patienten. An diesem Morgen hatte sie die Fahrt nach Wiesbaden ohne Born angetreten. Der Chef war von seiner Dienstreise zurückgekehrt und hatte ihren Kollegen zum Rapport einbestellt.
    Als sie Milan Tassen die Hand schüttelte, fielen ein paar Sonnenstrahlen durch die Fensterscheiben. Mindestens eine Infusionsflasche weniger hing am Ständer. Ein kleiner Fortschritt auf dem beschwerlichen Weg der Genesung. Auch dass das Bettoberteil in eine fast senkrechte Position gestellt war und Milan Tassen eine sitzende Haltung einnahm, deutete sie als positives Zeichen.
    Â»Und – fühlen Sie sich heute ein wenig besser?«
    Â»Danke der Nachfrage«, nuschelte Milan Tassen.
    Â»Ich möchte auch gar nicht lange stören und gleich an unser Gespräch gestern anknüpfen. Sie haben angedeutet, das zweite Mordopfer in Begleitung Ihrer Stiefmutter gesehen zu haben.«
    Â»Das zweite Mordopfer?« Milan Tassen blickte sie mit dem nicht zugeschwollenen Auge verwundert an.
    Â»Ja, Martha Rosen. So hieß die Frau, die einige Tage nach Ihrer Stiefmutter ermordet wurde.«
    Â»Und über die haben wir gesprochen?«
    Â»Ja, gestern am frühen Abend.«
    Â»Ich kann mich erinnern, dass Sie mit einem Mann hier waren und mir gesagt haben, dass Selma … aber an das andere kann …«
    Â»Das ist typisch für diese Art von Verletzung, die Herr Tassen erlitten hat«, schaltete sich Dr.   Brunner ein. Der Neurochirurg hatte sich auf einen Schemel in Türnähe zurückgezogen. »Einen Teil der Informationen löscht das in Mitleidenschaft gezogene Gehirn sofort wieder, das hat jedoch überhaupt nichts mit der Wertigkeit der Information zu tun. Am besten, Sie zeigen dem Patienten das Foto noch mal und stellen Ihre Frage erneut.«
    Die Stirn leicht in Falten gezogen, betrachtete Milan Tassen die auf Mannfelds Smartphone gespeicherte Aufnahme. »Ja, so langsam kommt die Erinnerung wieder«, sagte er nach einer Weile. »Ich hab die Frau tatsächlich schon mal zusammen mit Selma gesehen.«
    Â»Und wo war das?«
    Â»Vor der ›Schirn‹. Die beiden kamen durch die Tür der Kunsthalle nach draußen und haben sich mit Küsschen links und Küsschen rechts verabschiedet.«
    Â»Wissen Sie auch noch, wann das war?«
    Â»Letztes Jahr im Sommer.« Milan Tassen nahm einen Schluck aus der Schnabeltasse, bevor er fortfuhr: »Die andere Frau hatte einen ziemlich fetten Hintern.«
    Â»Und nachdem sich die Frauen verabschiedeten, was passierte dann?«
    Â»Die mit dem fetten Hintern ist in Richtung U-Bahn. Und Selma …« Ein schwer zu deutendes Lächeln stahl sich auf Milan Tassens zum Teil noch blutverkrustete Lippen. »Selma ist zu Fuß ins Bahnhofsviertel. Ich bin ihr die ganze Strecke hinterhergelaufen. Durch die Bethmannstraße, an der Oper vorbei, durch die Münchener und die Weserstraße bis in die Kaiserstraße.«
    Â»Das ist ein ganz schönes Stück.«
    Â»Oh ja. Aber gesehen hat sie mich nicht.«
    Â»Hatte Ihre Stiefmutter ein bestimmtes Ziel?«
    Â»Ein Ziel hat Selma immer. Und an dem Tag war es das ›Venus‹.«
    Â»Der Sexshop?«, hakte Mannfeld überrascht nach. »Sind Sie sicher?«
    Â»Hundertpro.«
    Â»Was wollte sie dort?«
    Â»Etwas kaufen. Was es war, hab ich nicht mitbekommen. Sie kam mit einer undurchsichtigen roten Tüte aus dem Laden. Aber dass da keine Schönheitscreme oder Zahnpasta drin war, können Sie sich wohl denken.«
    Â»Was ging Ihnen dabei durch den Kopf?«
    Â»Dass das absolut ekelhaft ist. Sich Pornos, Dildos, Sexspielzeug oder sonst was zu kaufen. In ihrem Alter. Keine Ahnung, was sie mit dem alten Patenstein so alles getrieben hat. Vater würde sich im Grab umdrehen, wenn er das wüsste.«
    Wegen eines im Radio gemeldeten Staus auf der A 66 entschied sich Mannfeld auf der Rückfahrt für den Umweg über die A 3. Doch auch auf der Alternativroute schleppte sich der Verkehr nur zäh in Richtung

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