Die Stunde des Löwen
Betreiber, ein dunkelhäutiger Sikh mit einem orangefarbenen Dastar auf dem Kopf, wies ihm den Computer in der hintersten Ecke zu. Ob er etwas trinken wolle. Fremden verneinte und fragte nach einem Kabel, mit dem man Daten vom Handy auf den Rechner spielen konnte. Als er es bekommen hatte, lud er die Fotos in einen Ordner, den er zuvor auf der Festplatte angelegt hatte. Nach Abschluss des Kopiervorgangs öffnete er im Internet seinen GMX -Account und übertrug die E-Mail-Adresse von Rosens Visitenkarte in das Adressfeld der E-Mail-Maske. In die Betreffzeile tippte er: »Shit happens oder Taten, vor denen man sich besser hüten sollte«. Dann lieà er den eigentlichen Text folgen. »Sehr geehrter Herr Rosen, gern würde ich mit Ihnen ein wenig über Taten plaudern, vor denen man sich besser hüten sollte. Möglicherweise zählen auch Ihre Geschäfte in Moldawien dazu, ganz sicher aber der gestrige Einbruch in mein Haus. In der Anlage erlaube ich mir, Ihnen ein paar interessante Aufnahmen zu senden. Bitte melden Sie sich umgehend telefonisch bei mir.« Er setzte seine Handynummer ans Ende des Schreibens und fügte nach kurzer Ãberlegung noch ein Postskriptum hinzu â mit dem sinngemäÃen Inhalt, dass Rosen es sich sparen könne, seinen Schergen nochmals zu ihm nach Bad König zu schicken, da er sich dort bis auf Weiteres nicht mehr aufhalten werde.
Als er wieder auf die StraÃe trat, trieb ihm der Wind eine eisige Böe ins Gesicht, die seine Lust zu laufen auf den Nullpunkt brachte und ihn die armen Teufel bemitleiden lieÃ, die seltsamerweise so spät noch vor dem benachbarten jemenitischen Konsulat Schlange standen.
Aus Angst, dass ihm im herrschenden Verkehrslärm Rosens Anruf entgehen könnte, kontrollierte er am Eschenheimer Turm â etwa auf der Hälfte der Strecke zum Parkhaus â schon zum zweiten Mal das Display seines Handys. Dass das im Grunde idiotisch war, brauchte ihm niemand zu sagen. Es war mehr als unwahrscheinlich, dass Rosen binnen Minuten auf seine Nachricht reagierte. In dem Fall hätte er beim Eintreffen der E-Mail an seinem Computer gesessen haben müssen.
Verärgert über seine mangelnde Geduld, lieà er das Handy wieder in der Jackentasche verschwinden. Auf das Klingeln des dämlichen Teils zu warten würde ihn auf Dauer zermürben. Ablenkung war die Devise, und so versuchte er, seine Gedanken in konstruktive Bahnen zu lenken. Beim Betreten des Parkhauses fragte er sich, ob Klaus Bruckner vom vermutlich kriminellen Doppelleben seines Vaters Kenntnis hatte. Nach kurzem Ãberlegen kam er zu dem Schluss, dass dies äuÃert unwahrscheinlich war. Er hätte mit solch einem Wissen den möglichen Zusammenhang zwischen dem Mädchenhandel und den mysteriösen Umständen erkennen müssen, unter denen sein Vater ums Leben gekommen war. AuÃerdem machte es keinen Sinn und wäre sogar äuÃerst kontraproduktiv, einen Detektiv zu engagieren, diesem die für die Lösung des Falls offensichtlich wichtige Information aber vorzuenthalten.
Im Parkhaus an den Kassenautomaten klingelte nun doch sein Handy. Während er hektisch in den Tiefen seiner Jackentasche danach kramte, hätte er beinahe das Wechselgeld fallen gelassen.
»Unsere Verbindung war vorhin auf einmal weg«, hörte er eine ihm mittlerweile bekannte Stimme sagen. Wobei »weg sein« eine ziemlich schmeichelhafte Umschreibung dafür war, dass er einfach aufgelegt hatte.
Er sagte erst einmal nichts darauf.
»Ich habe interessante Informationen für Sie«, wiederholte Vera Kaczorowski dermaÃen leise, dass er sich das linke Ohr zuhalten musste, um sie überhaupt verstehen zu können. »Sagte ich schon, dass Amelie Bruckner ein dunkles Geheimnis hütete?«
»Ja, das sagten Sie«, erwiderte er und musste wegen des sensationslüsternen Tonfalls, den die Alte anschlug, sogar ein wenig lächeln.
»Sie tun das übrigens auch.«
»Was tue ich auch?«
»Ein Geheimnis hüten.«
»Und da sind Sie sich sicher?«
»Natürlich. Aber bei Ihnen handelt es sich nicht um so etwas Düsteres, sondern schlicht um ein Familiengeheimnis.«
»Woher â¦Â«
»Woher ich das weiÃ? Das sehe ich Ihnen an der Nasenspitze an. Was würden Sie sagen, wenn ich Ihnen verrate, dass Amelie Bruckner schon wenige Wochen nach dem Tod ihres Mannes â¦Â«
»Reden Sie ruhig
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