Die Stunde des Löwen
überfliegen.
»Weitere Rentnerin ermordet â Polizei und Staatsanwaltschaft tappen im Dunkeln« , lautete die Ãberschrift. In dem dreispaltigen Artikel berichtete das Blatt von dem Mord an einer über siebzigjährigen Bürgerin der Stadt Frankfurt, der bereits zweite Vorfall dieser Art. Fremden erinnerte sich noch an die Radiomeldung zum ersten Mordfall im Sheraton Hotel am Flughafen. Diesmal war die Leiche am Lohrberg im Stadtteil Seckbach abgelegt worden. Im Gegensatz zur ersten Tat waren Fundort und Tatort nicht identisch. Laut Auskunft des Pressesprechers der Polizei war bislang keine Verbindung zwischen den beiden Opfern bekannt. Dennoch gehe man aufgrund der kurzen zeitlichen Aufeinanderfolge der Morde und des vergleichbaren Alters der beiden Opfer von einem Zusammenhang aus.
Die Spalte rechts neben dem Textblock zeigte Passbilder der beiden getöteten Frauen. Bei dem ersten Opfer handelte es sich um eine gewisse Selma Tassen, Witwe eines Frankfurter Bauunternehmers. Doch auf den Artikel war er eindeutig durch das Foto von Opfer Nummer zwei aufmerksam geworden. In dem Porträt hatte er sofort die Frau erkannt, von der Rosen sich vor wenigen Tagen am Eingang der Gründerzeitvilla mit einem Kuss verabschiedet hatte und auf deren Beerdigung er als heimlicher Beobachter gewesen war.
Fremden lieà die Zeitung sinken und schaute in den dunkel bewölkten Himmel. Dass Rosens Ehefrau ermordet worden war, hatte er nicht gewusst. Er fragte sich, ob dieser Umstand ein anderes Licht auf seine Ermittlungen warf.
ELF
Den Kopf gedankenschwer in beide Hände gestützt, starrte Born auf Mannfelds verwaisten Schreibtisch. Vielleicht sollte er es seiner bezaubernden Kollegin gleichtun und für heute im Präsidium die Zelte abbrechen. An dringender Ermittlungsarbeit gab es nicht mehr viel zu erledigen. AuÃer den Presseaufruf in die Wege zu leiten. Nachdem Milan Tassens Befragung und die nachfolgenden Recherchen nicht die erhoffte Wende gebracht oder gar zum Durchbruch geführt hatten, galt es nun, die Bevölkerung um Mithilfe zu bitten. Im Idealfall meldeten sich Zeugen mit Hinweisen, die Aufschluss darüber gaben, was die beiden Opfer verbunden hatte oder wie und mit wem sie die Mordabende verbracht hatten. Oder welches Motiv hinter den Taten steckte.
Nachdem er die erforderlichen Telefonate getätigt und die digitalen Versionen der Fotos per E-Mail versandt hatte, verlieà er das Polizeigebäude. Den Anruf bei »Venus Sex World« hatte er sich gespart. Aber nicht, weil er es plötzlich für überflüssig hielt, in Erfahrung zu bringen, welche Erotikartikel Selma Tassen gekauft hatte, sondern weil er mittlerweile der Ãberzeugung war, dies besser in Form eines zweiten Besuchs tun zu können. Zudem würde sich so und ohne Mannfeld im Schlepptau die Gelegenheit ergeben, das Sortiment des Ladens ein bisschen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Während er den schneebedeckten Parkplatz überquerte, schwenkten seine Gedanken zu der Bohnenstange mit dem eichhörnchenfarbenen Toupet. In sich hineingrinsend fragte er sich, ob das Personal in Sexshops am Umsatz beteiligt wurde. Und ob es so etwas wie einen Bonus oder zumindest die goldene Verkaufsnadel für denjenigen gab, der am Jahresende die meisten Pornos und Dildos verhökert hatte.
Als er in der KaiserstraÃe eintraf, war der Erotikshop deutlich besser besucht als am Nachmittag. Zu den Bahnreisenden und der Laufkundschaft gesellten sich jetzt noch diejenigen, die nach Feierabend mal schnell vorbeischauten. Weit über neunzig Prozent der Besucher waren männlich. Junge, Alte, Anzugträger, Nerds mit Kapuzenpullis und Handwerker in Arbeitskleidung. Eine der wenigen Frauen kämpfte offenbar mit einer Erkältung. Im Minutentakt schnäuzte sie in ein Papiertaschentuch, das sie griffbereit in der Hand hielt.
Als er meinte, die Klientel des Ladens ausreichend studiert zu haben, näherte er sich einem Regal mit DVD -Covern. Beim zaghaften Stöbern stieà er auf ein Filmangebot, das das gesamte Spektrum pornografischer Spielarten abzudecken schien: »Gang-Bang Girls«, »Deep Throat Lolitas«, »Latina Cowgirls«, »Raw Pussy Teens« und »Horny Housewives over Fifty«.
»Kann ich Ihnen vielleicht behilflich sein?«
Als er erschrocken hochsah, blickte er in das Gesicht einer etwa Vierzigjährigen mit blonder Kurzhaarfrisur. Abgesehen von einem Piercing â
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