Die Stunde des Löwen
den Mietern unter ihm herauskommen. Wie in einem Splatterfilm: Tropfen für Tropfen auf die weiÃe Tischdecke des Esstischs. Meist wachte er an der Stelle schweiÃgebadet auf und fragte sich, weshalb er so rat- und hilflos war, was die Beseitigung von Fátimas Leiche anging. Bei Selmas Tötung hatte sich ihm das Problem nicht gestellt. Und auch als er Martha den Schädel eingeschlagen hatte, hatte er keine Sekunde lang nachdenken müssen.
Ewig konnte er nicht in diesem Hotelzimmer bleiben. Er musste handeln. Und zwar so bald wie möglich.
*Â *Â *
Fremden war ohne Wagen zu dem Treffen im Senckenberg Naturmuseum gekommen. Nachdem er sich von Rosen verabschiedet hatte, nahm er die U 6 in Richtung Innenstadt. Schon nach zwei Stationen stieg er an der Alten Oper aus. Beim Ãberqueren des Opernplatzes überlegte er, dem Starbucks-Café einen weiteren Besuch abzustatten. Doch nach kurzem Hin und Her verwarf er den Gedanken. Cappuccino hatte er heute genug getrunken.
Kein festes Ziel vor Augen, lieà er sich im Strom der Menschen auf die Hauptwache zutreiben. Am Rathenauplatz beobachtete er einen Pfandflaschensammler, der mit einem teleskoparmartigen Greifer in einem Glascontainer herumfuhrwerkte. Ohne geregeltes Einkommen und mit dem renovierungsbedürftigen Fachwerkhaus am Bein konnte ihm bald ein ähnliches Schicksal blühen. Dass seine Betreuerin bei der Arbeitsagentur überraschend einen vernünftigen Job aus dem Hut zauberte oder dass er in absehbarer Zeit ganztags ins Taxigeschäft würde einsteigen können, wagte er schon lange nicht mehr zu hoffen. Und als Möchtegerndetektiv hatte er bislang keinen Erfolg gehabt. Vielleicht war dies der richtige Zeitpunkt, sein Scheitern einzugestehen und seiner Laufbahn als privater Ermittler ein Ende zu bereiten.
Dass Rosen bei Hugo Bruckners Erpressung und Tod seine Finger im Spiel gehabt hatte, glaubte er nicht mehr. Er nahm dem Mann auch ab, dass er diese Selma Tassen nicht gekannt hatte. Wahrscheinlich existierte überhaupt kein Zusammenhang zwischen den Morden an den beiden Rentnerinnen und dem Ableben des Bestatters.
Dabei waren es weniger rationale Gründe, sondern vielmehr sein Bauchgefühl, das ihn überzeugte, dass Rosen die Wahrheit sprach. Die Trauer des Witwers hatte authentisch gewirkt. Kleine Gesten â wie das wiederholte Spielen mit dem Ehering seiner Frau und das Stocken seiner Stimme, wenn er sie erwähnte â zeugten davon, dass ihm ihr plötzlicher Tod naheging. Auch dass Rosen seinem Schergen Varujan so kurz nach der Beerdigung den Auftrag zum Einbrechen erteilt hatte, mochte Fremden nicht als Kaltschnäuzigkeit werten, sondern eher als einen letzten verzweifelten Versuch, sein schmutziges Geheimnis zu wahren. Doch nun war er aufgeflogen und konnte seine Rolle als Menschenhändler nicht länger verheimlichen. Welchen Grund sollte er also haben, weiter zu taktieren? AuÃerdem bräuchte Rosen ihm nicht aus freien Stücken von Begebenheiten zu berichten, die Fremden auf anderem Weg niemals erfahren hätte, wenn er es nicht ehrlich meinte. Beispielsweise die Begegnung mit Amelie Bruckner vor dem »Hessischen Hof«.
Nun, da die Fährte Rosen kalt zu sein schien, tappte er mit seinen Ermittlungen völlig im Dunkeln. Er hatte nicht den Funken einer Idee, wie er noch Licht in das vermeintliche Mysterium um den tödlichen Sturz in den See bringen konnte. Vielleicht war es unter diesen Voraussetzungen das Beste, umgehend Kontakt zu Klaus Bruckner aufzunehmen und sich für das in Fremden gesetzte Vertrauen zu bedanken, den Verdacht aber als nicht belegbar zurückzuweisen. Dann würde er seine Energie voll und ganz der Sanierung des Fachwerkhauses widmen können.
Eine geschlagene Stunde später streifte Fremden immer noch ziellos durch Frankfurts Innenstadt. Bruckner anzurufen und mit ihm das abschlieÃende Gespräch zu führen, hatte er bislang nicht geschafft. Dazu spukte ihm noch zu sehr Rosens Andeutung durch den Kopf, dass sich Amelie Bruckner kurz nach dem Tod ihres Gatten mit einem jüngeren Mann vergnügt haben könnte. Lächerlich eigentlich, mit welchem Brustton der Entrüstung Rosen auf den Altersunterschied hingewiesen hatte. Als ob es nur junge Adonisse waren, die zu seinen moldawischen Nutten gingen.
Gestützt wurde der Wahrheitsgehalt der von Rosen geschilderten Szene durch die Aussage von Vera Kaczorowski, die er lapidar als
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