Die Stunde des Löwen
mit deutschem Pass, die dritte eine etwa fünfzigjährige Portugiesin. Auf den ersten Blick bestand kaum Ãhnlichkeit zwischen den Frauen. Doch alle drei hatten die Malerei zum Hobby gehabt. Und allen dreien hatte derselbe Mann Modell gestanden. Möglich, dass sich die Opfer und der Unbekannte durch den Malkurs kannten, von dem Edgar Rosen gesprochen hatte. Dass es in Bornheim nur eine Malschule gab, hatte Mannfeld noch am Vorabend recherchiert. Die »Kreativakademie« hatte ihren Sitz in der Nähe des Uhrtürmchens, an dem samstags der Wochenmarkt stattfand. Beim Versuch, dort telefonisch jemanden zu erreichen, hatte sich der späten Stunde entsprechend allerdings nur der Anrufbeantworter gemeldet, ebenso wie am Privatanschluss der über der Schule wohnenden Schulleiterin Sonja Romanowa, auf dem sie schlieÃlich eine Bitte um Rückruf hinterlassen hatten.
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Die am östlichen Ortsrand von Kronberg gelegene Villa präsentierte sich vor dem Hintergrund einer traumhaften Winteridylle. In den von der Sonne beschienenen Fenstern der oberen beiden Stockwerke spiegelte sich der wolkenfreie Himmel. StraÃenlärm war am Ende der schmalen StichstraÃe nicht zu hören. Nur in der Ferne erklang das leise Läuten einer Kirchturmglocke.
Vorsorglich schon mal in das Objektiv der Ãberwachungskamera lächelnd, drückte Fremden auf den Klingelknopf. Während das metallene Schiebetor zur Seite glitt, stellte er sich vor, wie der einäugige Bestatter die Szene auf einem Monitor beobachtete.
Er lenkte den Wagen im Schritttempo über die geräumte Auffahrt. Neben der Villa mit dem markanten Ecktürmchen befanden sich noch zwei weitere Gebäude auf dem weitläufigen Gelände. Ein an die Garage angrenzender Flachdachbau und ein kleines zweigeschossiges Haus, dessen Erdgeschoss fast rundum verglast war.
Gestern Nachmittag hatte er eine ganze Weile vergeblich versucht, Bruckner ans Telefon zu bekommen. Das war ihm erst am frühen Abend geglückt, als der Bestatter von einem Termin zurückgekehrt war. Auf seine Frage, ob er sich unter den persönlichen Dingen seiner Mutter umsehen dürfe, hatte Bruckner skeptisch reagiert und wissen wollen, warum er das für nötig halte. Fremden hatte geantwortet, dass er eine Erklärung dafür zu finden hoffte, warum sie erst auf dem Sterbebett ausgesagt hatte, ihr Mann sei in den See gestoÃen worden. Seinen Verdacht, dass sie möglicherweise nicht ganz unschuldig am Tod ihres Mannes war, hatte er vorerst für sich behalten. Auch dass er in der Hinterlassenschaft nach Hinweisen auf die Identität des ominösen jungen Mannes zu suchen gedachte, von dem ihm Edgar Rosen und Vera Kaczorowski berichtet hatten.
Als er die Sandsteinstufen zur Eingangstür emporstieg, rutschte ein kleines Schneebrett vom schiefergedeckten Satteldach. Begleitet von einem leisen Schmatzen landete es auf dem Pflaster des Hofs.
Bruckner hatte die rechte Hand auf den Gehstock gestützt und reichte ihm die linke zum GruÃ. An diesem Morgen trug er sein schwarzes Haar streng zurückgekämmt, wodurch von seiner bleichen, pergamentartigen Stirn eine noch gröÃere Partie als sonst zum Vorschein kam.
Als Fremden die ihm angebotene Erfrischung ablehnte, schlug Bruckner vor, sich direkt ins Schlafzimmer seiner Mutter zu begeben. »Dort und im Atelier befinden sich all ihre persönlichen Dinge, die noch in meinem Besitz sind.«
Während er dem hageren Männchen über eine geschwungene Freitreppe in den ersten Stock folgte, überlegte Fremden, ob es geschickt wäre, Bruckner später auf die zwielichtigen Geschäfte seines Vaters anzusprechen. Nach kurzem Abwägen von Pro und Kontra verwarf er den Gedanken jedoch wieder.
»Hier sind wir schon.« Bruckner öffnete eine mit glänzend weiÃem Lack überzogene Holztür. »Treten Sie ein, Herr Fremden, und sehen Sie sich in Ruhe um. Wenn Sie Fragen haben oder etwas benötigen, melden Sie sich bitte. Mutters Atelier finden Sie quer über den Hof. Es ist das Haus mit dem verglasten Erdgeschoss. Der Schlüssel steckt. Wenn Sie hier fertig sind, können Sie gern rübergehen. Ich erledige in der Zwischenzeit ein paar Anrufe.«
Einrichtung und Ausstattung des Schlafzimmers wirkten, als seien sie eins zu eins einem Katalog für exklusives Wohnen entnommen. Jedes Detail zeugte von erlesenem Geschmack. Selbst das Muster der seidenen
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