Die Stunde des Löwen
Blochs Schreckenskabinett am Fundort war.
Stattdessen tauchte Michalchewski rechts von ihm auf. »Morgen, mein Guter. Siehst verschlafen aus.«
»Danke fürs Kompliment«, entgegnete Born.
»Wo hast du denn heute deine leckere Kollegin gelassen?«
»Dünnschiss.«
»Jula?«
»Nein, ihr Söhnchen«, brummte Born ins Zischen eines über die Eisenbahnbrücke fahrenden ICE s hinein. Während er sich in der Eiseskälte an einem Leichenfundort abquälte, saà Mannfeld im Warmen beim Kinderarzt. Gerade mal fünf Minuten bevor ihn die Meldung der Schutzpolizei erreicht hatte, hatte sie gesimst, dass Klein Henry unter Durchfall litt und sie heute später ins Präsidium kommen würde. »Wieâs aussieht«, fuhr er fort, »wurde die Frau nicht erst gestern Nacht getötet. Also ist der Parkplatz nicht der Tatort.«
»Weise Schlussfolgerung, Herr Kommissar.« Michalchewski kratzte sich unter der Kapuze des weiÃen Overalls am Kopf. »Wenn das Opfer hier ermordet worden wäre, müsste alles voller Blut sein.«
»Was hast du bisher zur Spurenlage?«
»Nichts, aber wir sind auch noch mitten in der Sichtung. Die Jungs asservieren alles Verdächtige, was hier so rumliegt. Auf dem Parkplatz ist das allerdings wenig. Der wird wohl regelmäÃig gesäubert. Den Erdwall am Bahndamm nehmen wir uns als Nächstes vor. Und davor grautâs mir. Da liegt ein Haufen Mist im Gestrüpp und an den Masten. Dosen, Verpackungen, Kippen, Kondome und all das, was die Leute so aus dem Zugfenster schmeiÃen.«
Borns Blick folgte der Hand des Kriminaltechnikers, die auf den Erdwall deutete. Am Himmel darüber zeichnete sich das ummantelte Rohrleitungssystem des Heizkraftwerks ab, das, von Masten gestützt, einen GroÃteil des Geländes umlief.
»Und was ist mit Reifenspuren? Gibtâs da was Verwertbares?«
»Siehst du welche?« Michalchewski musterte ihn, als hätte er nach Reifenabdrücken auf dem Mond gefragt. »Dort, wo der Schnee noch nicht geschmolzen ist, ist er verharscht. Hier, mein Lieber, kannst du nur gefrorene Bruchstücke von Reifenprofilen sichern.«
»Könnte sein, dass unser Täter einen Japaner fährt.«
Michalchewski stieà ein meckerndes Lachen aus. »Wenn du lange genug auf dem Boden rumkriechst, findest du hier die Profile von nahezu jedem Reifentyp.«
»WeiÃt du, wer das Vergnügen hatte, die Tote zu finden?«, erkundigte sich Born und schaute dabei seiner Atemwolke hinterher.
»Ein griechischer Geschäftsmann, der gestern im Restaurant zu Gast war. Er hat seinen Wagen stehen gelassen und wollte ihn jetzt abholen. Und wenn du mich fragst, sieht der heute Morgen allerdings immer noch so aus, als ob er sich besser keinem Alkoholtest unterziehen sollte. Er sitzt drüben im Einsatzwagen.«
Nachdem er den immer noch unter Schock stehenden Kostas Konstantinopoulos befragt hatte, kehrte Born zu seinem Wagen zurück. Mit gestartetem Motor, die Heizung auf die höchste Stufe gestellt, blickte er auf den Main, auf dessen Oberfläche sich die Nebelschwaden mittlerweile vollständig verzogen hatten.
Während er mit den Händen aufs Lenkrad trommelte, rätselte er, welche Bedeutung die Orte, an denen der Täter die Leichen abgelegt hatte, haben könnten. Nur ein einziges Mal â im Fall Selma Tassen â hatte er sein Opfer am Tatort zurückgelassen, was vielleicht bloà dem Umstand geschuldet war, dass er den Leichnam nur unter gröÃten Schwierigkeiten unauffällig aus dem Hotel gebracht hätte. Die interessante Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellte, war, weshalb er bei den anderen beiden Morden das Risiko eingegangen war und die Leichen an öffentlich zugängliche Plätze gebracht hatte. Und wo er sein drittes Opfer mindestens einen Tag lang zwischengelagert hatte. Die wahrscheinlichste Antwort auf die erste Frage schien die zu sein, dass von den Tatorten leicht auf seine Identität zu schlieÃen wäre. Vielleicht hatte er Martha Rosen und Fátima de Zosa sogar in seiner Wohnung getötet.
Das dröhnende Signal einer Schiffssirene störte Borns Konzentration. Einen Moment lang beobachtete er einen unter niederländischer Flagge fahrenden Lastkahn, der sich flussaufwärts schob, dann lenkte er seine Gedanken wieder zurück auf die Ermittlungen. Drei ermordete Frauen. Zwei davon waren Rentnerinnen
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