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Die Stunde des Löwen

Die Stunde des Löwen

Titel: Die Stunde des Löwen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexander Köhl
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Küche lief und das Fleischmesser von der Anrichte nahm. Damit bewaffnet, schlich sie aus dem Haus und wagte es nicht, sich umzusehen, bis sie nach etwa hundert Metern hinter gelagerten Baumstämmen Deckung fand. In der Ferne tanzte immer noch der Lichtkegel hinter den Fenstern auf und ab. Nach einer Weile hatten sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Suchend hielt sie nach einem Auto Ausschau. Als sie keins entdeckte, schlussfolgerte sie, dass der Eindringling an der Absperrung zur Bundesstraße geparkt und den Rest des Wegs zu Fuß zurückgelegt haben musste.
    Nachdem sie einige Minuten im Schutz der Stämme verharrt hatte, beruhigte sich ihr Herzschlag. Nun spürte sie die Kälte durch ihre Kleider dringen. Ewig würde sie es im Freien nicht aushalten können. Doch was sollte sie tun? Sie atmete ein paarmal tief durch. Dann holte sie das Messer aus der Manteltasche und löste sich aus ihrem Versteck. Von Baum zu Baum schleichend, näherte sie sich dem Ferienhaus. Vielleicht konnte sie ja aus kürzerer Distanz sehen, wer sich bei den Bruckners herumtrieb.
    * * *
    Er wusste nicht, wie lange er schon auf der Hollywoodschaukel saß und den Kegel der Taschenlampe durchs Zimmer wandern ließ. Mit einer Mischung aus Irritation und Abscheu registrierte er den morbiden Zustand des Hauses. Den Verfall, die zerbrochenen Fensterscheiben, das feuchte Laub auf den Dielen und die schimmelige Tapete, die in Bahnen von den Wänden hing. Zu seiner Verwunderung schien kaum etwas entwendet worden zu sein. Das meiste war noch vorhanden. Der Korbstuhl in der Ecke, die Glasvitrine samt Geschirr, der Fernseher auf dem Regal und gleich daneben die Kompaktanlage. Selbst den Haustürschlüssel hatte er noch am Nagel des Verandapfostens vorgefunden.
    Die Scharniere der Schaukel gaben ein quietschendes Geräusch von sich, als er aufstand, um zum Fenster zu gehen. Wolken verdunkelten den Mond. Der See – eine schwarz glänzende Fläche. Nun war er also tatsächlich an den Ort zurückgekehrt, an dem das Unheil seinen Anfang genommen hatte. Vielleicht, weil er hoffte, so auch emotional einen Schlussstrich unter das dunkelste Kapitel seines Lebens setzen zu können. Zwei lange Tage und Nächte hatte er mutterseelenallein im Hotel »Iris« zugebracht. Sich wahllos durch die Fernsehprogramme gezappt und mit Suizidgedanken herumgeschlagen, vietnamesisches Essen konsumiert und gerätselt, was er mit der Leiche in seiner Wohnung anstellen sollte.
    In Marthas Fall hatte er sofort gewusst, dass er sie auf dem Lohrberg ablegen würde. Auf der Bank, auf der er sie an einem sonnigen Frühlingstag das erste Mal außerhalb der Malstunde getroffen hatte. Damals hatte sie ihm errötend gebeichtet, was sie sich so sehnlichst von ihm wünschte.
    Er fragte sich, weshalb ausgerechnet die Entsorgung von Fátimas Leiche zu so einem großen Problem für ihn geworden war. Durch den Kehlenschnitt hatte sie extrem viel Blut verloren. Die Menge hatte er unterschätzt. Die Lache hatte sich auf dem Boden bis weit über die mit der Plane abgedichtete Stelle ergossen. Vergangene Nacht war er in seine Wohnung zurückgekehrt. Der bestialische Gestank, der ihn an der Tür empfangen hatte, hätte ihn beinahe in die Flucht geschlagen. Doch er hatte sich zusammengerissen. Hatte Fátimas Körper in die Plane gewickelt, ihn durchs Treppenhaus nach unten geschleift und in den Kofferraum des Wagens geladen. Um die Reinigung der Wohnung würde er sich später kümmern. Ziellos war er mit seiner leblosen Fracht durch die Stadt gefahren. Nach einer unbestimmten Zeit landete er im Westhafen, am Druckwasserwerk. Auf dem verlassenen Parkplatz hatte er den Leichnam aus dem Kofferraum gehievt und beim Ablegen am Zaun des Heizkraftwerks festgestellt, dass die Prothese noch in seiner Wohnung sein musste. Die hatte sie im Todeskampf verloren.
    Er konnte immer noch nicht richtig glauben, dass nun alles vorbei sein sollte. Ein schlechtes Gewissen, getötet zu haben, hatte er nicht. Dazu hatten ihn die unersättlichen Schlampen auf viel zu niederträchtige Art und Weise ausgenutzt. Wobei Martha ihre Überlegenheit weniger brutal ausgespielt hatte als die beiden anderen. Mit ihr hatte er Tische gerückt und Tarotkarten gelegt. Hatte sie von dem okkulten Hokuspokus genug, gab sie ihm ein blaues Pillchen zu schlucken. Nach Einsetzen der Wirkung dirigierte sie ihn zwischen ihre

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