Die Stunde des Löwen
Irgendetwas wollte nicht in seinen Schädel. Liliana Bode und Vera Kaczorowski. Zwei Frauen, die unterschiedlicher nicht sein konnten. Die attraktive junge Bedienung aus dem »King of Asia« und die alte Kräuterhexe aus dem Wald. Woher kannten sich die beiden? Wohl kaum durch einen befreundeten Druiden.
VIERZEHN
Nach einer der raren Parklücken Ausschau haltend, zuckelte Born im Schneckentempo durch die Münchener StraÃe. Mannfeld weilte unterdessen mit Sonja Romanowa im Präsidium, um ein Phantombild des Mannes anfertigen zu lassen, der dem Kurs Modell gestanden hatte. Es ergab durchaus Sinn, was seine immer noch wohltuend schuldbewusst dreinblickende Kollegin beim Verlassen der Malschule kundgetan hatte: Der geringe zeitliche Abstand zwischen Amelie Bruckners Tod und den Morden an ihren Maler-Freundinnen könnte ein Indiz dafür sein, dass Ersteres der Auslöser für die Taten gewesen war. Im Extremfall hatte Amelie Bruckner die Morde vor ihrem Ableben sogar selbst in Auftrag gegeben. Vielleicht hatte der Täter aber auch eigenständig gehandelt und konnte â aus welchen Gründen auch immer â erst nach ihrem Tod zuschlagen.
Er fand einen Parkplatz nur wenige Meter vom Eingang des Tagestreffs entfernt, in dem er den Punker Sid befragt hatte. Während er etwas umständlich rückwärts in die Lücke zwischen zwei Fahrzeugen stieÃ, musste er an den jungen Mann denken, zu dem Selma Tassen nach dem Besuch des Sexshops ins Auto gestiegen war, und an die rätselhaften Verabredungen von Martha Rosen und Fátima de Zosa an den Mordabenden. War es das Aktmodell Alexander, mit dem sich alle drei Opfer getroffen hatten? War er der Täter? Falls dem so war, mussten die Frauen noch etwas anderes mit ihm zu schaffen gehabt haben, als nur seinen nackten Körper auf Papier zu bringen. Ein junger Mann von athletischer Statur sowie zwei ältere Damen und eine jüngere, die eine Beinprothese trug. Was konnte zwischen diesen vier Personen vorgefallen sein, das schlussendlich zu den Morden geführt hatte? Welche Verbindung bestand auÃerhalb der Malschule zwischen ihnen? Und was hatte sich mit dem Tod von Amelie Bruckner geändert? Fragen, auf die er in wenigen Minuten Antworten zu finden hoffte.
Doch als er sich am Empfangstresen des Bestattungsunternehmens Pietät Bruckner meldete, wurde ihm leider mitgeteilt, dass der Chef schon gegen Mittag das Geschäft verlassen hatte.
*Â *Â *
Als Fremden am Hessenplatz ankam, sah er sie im Licht der StraÃenlaternen in Richtung Marburger StraÃe laufen. Dass es sich bei der FuÃgängerin um Liliana Bode handelte, erkannte er an der dicken Daunenjacke, deren Kapuze sie wieder tief ins Gesicht gezogen trug.
Allzu lange hat sie es in ihrer WG ja nicht ausgehalten, dachte Fremden und folgte der leicht gebückt laufenden Gestalt in sicherem Abstand. Die blau-weià gestreifte Sporttasche über ihrer Schulter wertete er als Indiz dafür, dass sie nicht das »King of Asia« ansteuerte. Für den Schichtbeginn in einem Speiserestaurant war es auch schon ein bisschen zu spät. Und richtig, nach wenigen Minuten FuÃmarsch bewahrheitete sich seine Vermutung. In der Leipziger StraÃe verschwand Liliana Bode in einer Hofeinfahrt, deren Tor ein Schild mit der Aufschrift »yogaraum frankfurt« schmückte.
Fremden beschloss, in der kleinen Stehpizzeria auf der gegenüberliegenden StraÃenseite zu warten. Am Tresen bestellte er bei einer schwarzhaarigen Bedienung mit Pferdeschwanz eine Pizza Diavolo und eine Cola light. Mit der vor Kälte beschlagenen Flasche in der Hand begab er sich zu einem der Stehtische am Fenster. Bevor er sich auf dem Hocker niederlieÃ, warf er einen Blick auf das bunte Potpourri von Fotos an der holzvertäfelten Wand: Don Camillo und Peppone, Luciano Pavarotti, das Empire State Building in New York, ein Sportwagen aus den Sechzigern mit offenem Verdeck und direkt daneben der aktuelle Mannschaftskader des AC Mailand. Die Kicker des FuÃballvereins, dessen Hauptaktionär Silvio Berlusconi war, der als Regierungschef Italiens noch bis vor Kurzem mit Gerichtsverfahren und Bunga-Bunga-Partys kräftig für Schlagzeilen sorgte.
Er wandte sich wieder dem Fenster zu und widmete sein Augenmerk der Hofeinfahrt. Mittlerweile hatten sich dort drei junge Türken versammelt. Gestikulierend zündeten sie sich Zigaretten an. Während er dem Trio beim Rauchen
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