Die Stunde des Löwen
zusah, musste er an die verwirrende Beobachtung denken, die er vor einer guten Stunde am Hexenhäuschen in Kahl gemacht hatte. Nachdem er Liliana Bode erkannt hatte, war er nicht mehr imstande gewesen, das Gespräch mit Vera Kaczorowski zu führen. Bevor er sie zu dem Liebesverhältnis mit dem jungen Mann befragte, das Amelie Bruckner angeblich unterhalten hatte, wollte er erst noch herausfinden, in welcher Beziehung sie zu Liliana Bode stand. Auf der Rückfahrt nach Frankfurt war er beim Grübeln bereits auf eine Gemeinsamkeit der Frauen gestoÃen: Beide hatten mehr oder weniger intensiven Kontakt zu Hugo Bruckner gehabt. Liliana Bode als dessen Sekretärin und Vera Kaczorowski in der Rolle der schrulligen Nachbarin am See. Die eine Verbindung war geschäftlicher, die andere privater Natur. Doch weshalb kannten sich die beiden? Hatte Bruckner sie einander vorgestellt?
»Pizza Diavolo?« Die schwarzhaarige Bedienung schaute ihn fragend an.
Fremden nickte, und als der Teller mit der dampfenden Pizza vor ihm stand, griff er gierig zu. Beinahe hätte er laut aufgeschrien, als der heiÃe Käse an seinem Gaumen haften blieb. Fluchend lieà er die Pizzaecke auf den Teller zurückfallen und langte nach der Flasche Cola light. Nachdem er einige Schlucke genommen hatte und der Schmerz etwas nachlieÃ, kehrten seine Gedanken zu Liliana Bode zurück. Wie passte die insektenverzehrende Schönheit ins Bild? Spielte auch sie eine Rolle bei Bruckners tödlichem Sturz in den See? Falls ja, welche? Steckte sie mit dem Täter unter einer Decke? War sie Mitwisserin? Was verbarg sich hinter ihrer auf den ersten Blick so selbstlosen Hilfsbereitschaft? Hatte er sie nach der Scheinhinrichtung im Wald tatsächlich angerufen, oder hatte sie das nur behauptet und war von jemandem geschickt worden? Um ihn auszufragen? Um zu erfahren, wie viel er wusste? Wie viel er von was wusste? Vom Mord an Bruckner oder von dem schmutzigen Geschäft mit den moldawischen Frauen? Mittlerweile war da eine ganze Armada an Fragen, die sich in seinem Kopf formierte.
Etwa eine Stunde nach dem Verzehr der Pizza sah er sie aus der Hofeinfahrt treten. Eilig legte er fünfzehn Euro auf den Tisch und hastete ihr hinterher. Unweit der U-Bahn-Station holte er sie ein und stellte sich ihr in den Weg.
»Huch, wo kommst du denn her?« Liliana Bode war sichtlich überrumpelt. »Gehtâs dir wieder besser?«
»Danke der Nachfrage. Und dir? Wie war der Trip nach München?«
»Hätte besser sein können«, antwortete Liliana Bode und schaute seitlich an ihm vorbei in den einsetzenden Schneefall.
»Besser? Warum besser?«
»Keine Lust, jetzt drüber zu reden.«
Sekundenlang sagte keiner von ihnen etwas. Während er sie schweigend ansah, zeichnete Liliana Bode mit der Spitze ihres Stiefels Kreise auf den nassen Asphalt.
»Wo warst du gerade?«
»Beim Yoga.«
»Hab ich gesehen. Und vorher?«
»Wüsste nicht, was dich das angeht.«
»Warum reagierst du nicht auf meine Anrufe?«
»Wird das jetzt âne Art Frage-und-Antwort-Spiel?«
»Antworte bitte.«
Mit in die Hüften gestemmten Händen machte Liliana Bode einen Schritt auf ihn zu. »Vielleicht habe ich nicht auf deine Anrufe reagiert, weil ich nicht mit dir sprechen will.«
»Das reicht mir nicht als Antwort.«
»So, das reicht dem Herrn also nicht. Glaubst du, nur weil ich dir mal in einer beschissenen Situation geholfen habe, bin ich gleich bereit, was mit dir anzufangen?«
»Liliana, ich frage dich jetzt noch mal: Wo warst du vorhin?«
Sie starrte ihn zornig an. »Ich glaub, deine Ermittlerei steigt dir ganz schön zu Kopf. Ich hab keinen Bock, mich hier auf der StraÃe dumm anmachen zu lassen.«
Als sie sich zum Gehen umwandte, packte er sie am Arm.
»Lass mich los«, fauchte sie und drehte ihren Arm aus seinem Griff.
»Was wolltest du bei Vera Kaczorowski?«
»Vera ist meine Tante.«
»Deine Tante?«, wiederholte er und stolperte ihr durch das stärker werdende Schneetreiben hinterher. »Warum ⦠warum hast du das nicht schon früher gesagt?«
Ein schrilles Lachen ausstoÃend, blieb Liliana Bode stehen. »Das wird ja jetzt immer absurder. Warum hätte ich dir denn sagen sollen, dass Vera meine Tante ist? Du hast dich nach meinem ehemaligen Chef erkundigt.«
»Ist aber ein verdammt merkwürdiger
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