Die Stunde des Raben
Musikinstrumenten, die er je zu Gesicht bekommen hatte.
Die Lehrlinge waren umgeben von schlangenförmig gewellten Trompeten, von großen Zupfinstrumenten mit lang gespannten Saiten, die von breiten Stegen über riesige bemalte Kürbishälften liefen, sodass sie aussahen wie die Stahlseile einer Hängebrücke, und von Trommeln aller Größe und Art. Sie reichten von winzigen Gefäßen, die wie kleine Schildkrötenpanzer aussahen, bis zu meterhohen hohlen Baumstämmen.
»Tretet ein!« Meister Morley ging an einen hohen Schrank und holte aus diesem einige Trommeln hervor. »Und setzt euch bitte!«
Er wies Rufus, Filine und No an, auf einem schweren Teppich Platz zu nehmen, der in der Mitte des Turmzimmers ausgebreitet lag. Die Lehrlinge setzten sich.
»Die Musik«, begann der Meister, »wird mitunter ein wenig unterschätzt. Bei dem, was wir jetzt tun werden, geht es um Rhythmus. Ich kann euch nichts versprechen, und nicht jeder hat die Gabe, seinem Fragment auf diese Weise etwas zu entlocken. Es ist sogar eine eher seltene Fähigkeit. Aber nach dem, No, was ich von dir gehört habe, könnte diese Methode deiner Arbeitsweise entsprechen. Probieren wir es, es ist ganz einfach. Ihr legt euer Fragment auf das Trommelfell, dann folgt ihr mir in allem, was ich euch vormache. Ich werde den Rhythmus, den ihr mit den Fingern schlagen sollt, vorspielen und ihr macht es nach, so gut ihr könnt. Erwartet nicht zu viel von euch. Wie bei jedem Instrument gehört auch zum Trommeln viel Übung. Hat einer von euch es schon einmal versucht?«
Alle drei schüttelten den Kopf.
»Dann fangen wir am besten jetzt an.« Er reichte Filine eine mittelgroße Trommel.
»Und was soll dann passieren?« fragte Filine, die misstrauisch den mit hellem Leder bespannten Schildkrötenpanzer beäugte.
»Das werden wir sehen«, sagte Meister Morley ruhig. »Nichts oder etwas sehr Schönes.« Er gab No eine große Holztrommel und Rufus einen schmalen Holzring mit einer zarten Lederhaut. »Probiert sie aus. Schlagt ein bisschen auf ihnen herum. Trommelt etwas. Wenn einer von euch das Gefühl hat, es sei nicht das richtige Instrument für ihn – es gibt noch genug andere.«
Meister Morley setzte sich vor die Lehrlinge auf den Teppich und schlug die Beine übereinander. Dann ergriff er seine Trommel, einen schweren ausgehöhlten Baumstamm, und legte ihn sich unter den Arm. Sofort begann er mit seinen kräftigen Fingern einen gleichmäßigen Rhythmus zu schlagen.
Rufus lauschte: dum ess ess, tak ess ess klangen die Trommelschläge von Meister Morley zu ihm.
»Macht es mir nach«, forderte er sie auf.
Rufus versuchte es. Neben ihm taten No und Filine das Gleiche. Dum ess ess, tak ess ess klang es in Rufus’ Ohren. Er hatte noch nie getrommelt und merkte auf Anhieb, dass es ihm Spaß machte. Der Rhythmus zog ihn mit sich und er konzentrierte sich mit seinem ganzen Körper darauf. Auch No und Filine waren nach wenigen Minuten in ihr Trommelspiel versunken.
Meister Morley spielte leiser und setzte dann ab.
»Gut«, sagte er. »Das ist alles. Ihr macht das gut. Als Nächstes müsst ihr beim Trommeln euer Fragment in die Mitte des Trommelfells legen. Lasst es nicht vom Instrument fallen, das ist das Einzige, worauf ihr achten müsst.«
Der Meister wartete, bis No und Rufus ihre Fragmente aus den Beuteln an ihren Gürteln geholt und auf ihre Trommeln gelegt hatten. Dann sah er zu Filine, die die Hand auf ihrem Beutel liegen hatte, sich aber nicht weiter rührte.
»Möchtest du es nicht versuchen?«
Filine schüttelte den Kopf. »Ich trommele gerne mit, aber ich würde mein Fragment lieber im Beutel lassen.«
»Wie du meinst, es ist deine freie Entscheidung.«
Rufus sah zu seiner Freundin hinüber. Er wusste nicht, was Filine bei sich trug. Die Verbindung der Lehrlinge zu ihren Bruchstücken war eine sehr besondere Sache, und nicht jeder ging damit so freizügig um wie No.
Meister Morley unterbrach seine Gedanken. »Ihr seht schon, dass ihr die Instrumente jetzt aufrecht halten müsst, wenn ihr die Fragmente darauflegt. Das entspricht nicht unbedingt dem reinen Spiel, wenn man die Trommel schräg unter den Arm oder zwischen die Beine klemmt, aber für den Anfang genügt es. Erfahrene Spieler müssen die Fragmente auch nicht auf die Trommeln legen, aber für euch ist das noch wichtig. Und jetzt kommen die Späne.« Meister Morley griff in einen prall gefüllten Leinensack hinter sich und zog eine Handvoll eines feinen, fast schwarzen Pulvers
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