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Die Stunde des Raben

Die Stunde des Raben

Titel: Die Stunde des Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Pfeiffer
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meine Töchter den Kampf verfolgen. Sie sollen mit ihren eigenen Augen bezeugen, dass ich vergelte, was die Rotbüsche uns angetan haben. Wenn es vollbracht ist, kehre ich zurück, und dann werden wir gemeinsam zum heiligen Weidenbaum gehen und ihm den Dank aussprechen, der ihm für seine Hilfe gebührt.«
    Die Königin fasste mit der Hand an den aus Gold geflochtenen Ring, den sie um den Hals trug. Ihr Gesicht war von tiefem Ernst und großer Entschlossenheit erfüllt. Dann wandte sie sich ihrem Stamm zu.
    »Männer und Frauen der Icener!«, rief sie. »Schärft eure Waffen und seid bereit! Heute früh ziehen wir gegen die Hauptstadt der Rotbüsche. Und wir werden Camulodunum, wie sie es nennen, am Ende des Tages wieder mit seinem wahren Namen schmücken; wir werden ihren Tempel des Cäsars Claudius, diese Zitadelle der Tyrannei, dem Erdboden gleichmachen, wir werden diesen Sitz ihrer Verwalter, die nichts anderes sind als Betrüger und Lügner, von ihnen befreien!«
    Mit einem lauten Aufschrei antwortete ihr der Stamm.
    »Fahrt nur fort in euren Vorbereitungen. Sobald die Sonne sich erhebt, brechen wir auf!«
    Die Königin der Icener sah über die Menge der Menschen, von denen sich jeder einzelne in einen Krieger verwandelt hatte. Wer seine Waffen geschliffen hatte, begann nun, Farbe auf Gesicht und Körper zu malen.
    In diesem Augenblick erscholl ein einsamer Vogelruf. Die Königin schien ihn nicht gehört zu haben, aber Tyrai sah auf. In einer Baumkrone saß ein schwarzer Rabe, der sein Gefieder aufplusterte und dann erneut ein lautes Krächzen ausstieß. Rufus, Filine und No konnten sehen, dass es in den Augen des Mannes dunkel wurde. Er sah die Königin an und fasste im selben Moment an seine Seite, wo er sein Schwert trug.
    Die Königin hatte seine Bewegung bemerkt und den Raben nun ebenfalls entdeckt.
    »Fürchte dich nicht, auch nicht um mich!«, sagte sie. »Ich habe den Raben gehört! Und ich kenne seine Botschaft. Aber unsere Druiden lehren, dass die Seele niemals verloren geht. Sie kehrt nach der Schlacht wieder. Sie kehrt wieder, und das heißt, sie kann nicht untergehen. Deswegen fürchten die Rotbüsche uns und die Druiden so. Sie wissen tief in ihrem hasenherzigen kurzen Leben, dass sie gegen die, die den Tod nicht fürchten müssen, auf Dauer nicht bestehen können.«
    Die Königin wandte sich um und richtete ihren Blick nach Süden. Dann schaute sie zu dem Raben in der Baumkrone.
    Die Lehrlinge folgte ihrem Blick. Kaum aber hatte No den Raben in den Ästen ausgemacht, da begann sein schwarzes Gefieder vor seinen Augen zu verblassen.
    »Warte!«, rief No. Doch er konnte nicht mehr verhindern, dass die Flut sich zurückzuziehen begann.
    »Wo müssen wir denn hin?«, stieß er hervor und sah Filine und Rufus Hilfe suchend an. »Was ist die richtige Spur?«
    Seine beiden Freunde traten tiefer in das noch vorhandene Bild und sahen sich in alle Richtungen um. Doch die Flut verblasste jetzt schneller und schneller, und dann standen die Lehrlinge wieder allein vor der Planetenmaschine.

Schlangenfleisch
    Mit den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages schlugen Rufus, No und Filine fast gleichzeitig die Augen auf.
    Die drei Lehrlinge hatten nach dem Rückzug der Flut noch für einige Stunden versucht, weiterzuarbeiten. Aber irgendwann hatten Hunger und Müdigkeit sie überwältigt, und sie hatten sich nach einem kurzen Ausflug in die Mensa in Filines Zimmer zurückgezogen, um dort zu schlafen.
    No streckte sich ausgiebig »Ich glaube, ich werde mich weiter mit allem Holz beschäftigen, auf das wir gestoßen sind. Ich denke, der Weidenbaum kann die nächste Spur sein.«
    »Ich würde gerne den Mädchen nachgehen«, meinte Rufus. Er hatte die Nacht vollkommen traumlos verbracht und nicht den geringsten Hinweis erhalten, wie es mit der Flut weitergehen könnte.
    Vielleicht lag es ja daran, dass er vor dem Einschlafen noch einen Blick auf sein Flutmarkt-Artefakt geworfen hatte. Der weiße Kopf hatte nichts von seiner Schönheit verloren, wenngleich er Rufus nicht mehr so stark an seine Mutter erinnerte wie zuvor. Allerdings strahlte das Kunstwerk eine solch edle Schönheit aus, dass Rufus gedacht hatte, dass er einmal selbst versuchen sollte, seine Mutter mit der Hingabe zu zeichnen, wie es der Künstler dieses Kopfes getan haben musste. Oder hatte er einfach nur ein wunderschönes Modell gehabt?
    Rufus hatte sich auf alle Fälle vorgenommen, bei nächster Gelegenheit darüber zu forschen und es

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