Die Stunde des Raben
Filine. »Mit etwas Glück schaffen wir es. Steckt jetzt die Köpfe da rein und konzentriert euch. Ich beobachte solange das Eidouranion.«
Rufus und No traten unter die Höhlungen.
No zögerte und betrachtete immer noch skeptisch das schwarze Loch über seinem Kopf, aber Rufus tat sofort, was Filine gesagt hatte, und schob den Kopf in das Loch im Stein.
Darin roch es kühl und es war ein wenig beklemmend.
»No, du auch!«, hörte er Filines Stimme gedämpft neben sich.
»Okay, okay …«, antwortete Nos Stimme.
Dann schien er getan zu haben, was Filine wollte, denn diese befahl nun: »Denkt an alles, was ihr gesehen habt. Aber bekommt keinen Schreck: Wenn es klappt, setzt sich die Planetenmaschine in Bewegung, und das werdet ihr hören. Es klingt in den Löchern etwas unheimlich. Los, jetzt! Denkt an alles und sprecht es laut aus.«
»Das Dorf war zerstört«, sagte Rufus. »Es sah aus wie im Krieg.«
Seine Stimme hallte dumpf in der Steinhöhlung. Sonst tat sich nichts.
»Kriege gab es immer sehr viele«, hörte er Filine. »Das ist noch zu ungenau.«
»Der Wagenlenker und die Mutter der beiden Mädchen«, stieß No hervor. »Sie hatten ziemlich helle Haut. Und die Frau hatte rote Haare. Das heißt, sie stammten wahrscheinlich von der nördlichen Hälfte der Erdkugel.«
Rufus spürte ein Zittern, das von der Maschine auszugehen schien und auch die Steinhöhle unangenehm vibrieren ließ.
»Das klingt ja wie beim Zahnarzt!«, rief No erschrocken.
»Aber der Hinweis war gut«, beruhigte ihn Filine. »Der Globus scheint sich genauer einzustellen.«
Rufus versuchte, nicht auf das Sirren zu achten. »Sie ist eine Königin«, sagte er. »Und sie hatte diesen zweirädrigen Wagen, der von zwei Pferden gezogen wurde.«
Das Geräusch wurde lauter.
No ächzte. »Hoffentlich wird mir nicht schlecht!«
»Konzentriert euch«, sagte Filine. »Nicht aufgeben!«
»Und diese Königin greift zu den Waffen!«, rief Rufus, der inzwischen Mühe hatte, seine eigene Stimme zu hören.
Wieder zitterte und summte es in der Maschine.
»Die Menschen dort haben Holzspeere und Schilde und Schwerter«, stieß No kaum noch hörbar hervor.
Die Maschine sirrte laut auf.
»Sie haben blau bemalte Gesichter«, sagte Rufus.
»Gut so!«, brüllte Filine. »Aber das alles ist noch nicht genau genug. Ich kann sehen, dass wir wirklich in Nordeuropa waren. Aber das reicht leider von Paris bis nach Grönland. Kannst du nicht noch mal den Satz in der Sprache sagen, Rufus, wie vorhin?«
»Ja!« Rufus konzentrierte sich und wiederholte, was das Mädchen gesagt hatte.
Diesmal sirrte die Maschine wie ein Hornissenschwarm.
»Aufhören!«, brüllte No. »Ich halte das nicht mehr aus!« Dann schrie er Rufus zu: »Sag jetzt die Namen. Wenn sie hier nichts helfen, dann weiß ich auch nicht. Los, mach schon, mir wird nämlich gleich schlecht!«
»Die Königin hat zwei Töchter!«, sagte Rufus laut und deutlich. »Sie heißen Brae und Aili.«
Im nächsten Moment hörte das schreckliche Geräusch auf, und das Eidouranion schien stillzustehen.
In der Stille hörte Rufus, wie Filine einen kleinen Schrei ausstieß.
»Was ist?«, fragte er ängstlich.
»Es hat funktioniert!«, antwortete Filine. »Ihr könnt rauskommen.«
Sofort zog Rufus seinen Kopf aus dem Loch. Neben ihm war No schon wieder im Freien. Er sah etwas grünlich aus im Gesicht.
Filine blickte nacheinander auf den Leinwandhimmel, den Kegel über dem Globus und die Jahresanzeige. »Kommt schon her!«, verlangte sie.
Neugierig gingen No und Rufus zu ihr. Filine wies auf die Jahresanzeige und auf die Stelle, auf die das goldene Pendel zeigte. »Es sieht so aus, als wären wir im Jahre 61 nach Christus gewesen, und zwar in der Nähe von London.«
No nickte. »Okay«, sagte und schüttelte den Kopf und schluckte, als hätte er Ohrensausen. »Dann wissen wir jetzt also, dass das vor uns der Himmel im Jahre 61 nach Christus ist. Und das außerdem in der Nähe von London.« Er sah seine beiden Freunde an. »Und das heißt, wir sind bei den Kelten!«, rief er. »Denn die lebten damals in Britannien!«
Kaum hatte No die Worte ausgesprochen, kehrte die Flut zurück.
Im glühenden Licht des Eidouranions erschien ein großer, dunkler Stein, der gegen den fahlen Morgenhimmel aufragte.
Dann waren Geräusche von Metall zu hören.
Die Lehrlinge wichen etwas zurück.
Vor ihnen, rund um den Stein, standen Männer und Frauen. Die Männer trugen lange Hosen, hatten Lederstücke als Schuhe um
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