Die Stunde des Schakals (German Edition)
überdachte Veranda, auf der eine lange Tafel eingedeckt war. Etwa zwei Dutzend Menschen saßen daran, Kinder, Frauen, Männer, nur am Kopfende stand einer und hielt eine Rede. Er musterte die Gesichtszüge des Mannes. Ja, kein Zweifel. Er stellte die blaue Tasche ab und hockte sich auf seine Fersen. Vierzig Meter. Mehr nicht. Eine Salve, und bevor die Gäste überhaupt begriffen hätten, dass sie noch lebten, wäre er längst im Zuckerrohrdickicht verschwunden. Es wäre so einfach. Doch er durfte nichts überstürzen.
Die Verandatür stand sperrangelweit auf. Auch die Fenster waren geöffnet. Vielleicht war das auf den abgewandten Seiten des Landhauses genauso. Er arbeitete sich nach rechts durch die Pflanzung voran, vermied so gut wie möglich, die Blätter zum Rascheln zu bringen, und achtete darauf, dass er die Rohre nicht gegen die Windrichtung beugte. Wo die Gartenhecke im rechten Winkel nach Westen abknickte, ging er aus der Deckung, querte geduckt den Feldweg und tauchte im Schutz der Hecke ab. Auf allen vieren kroch er voran, bis er die Veranda gerade noch von der Seite einsehen konnte. Längs der Querfront des Hauses standen Obstbäume, deren Schatten er ausnutzen würde. Er wählte das Fenster, durch das er klettern wollte. Zehn schnelle Schritte, über die Brüstung flanken und rein. Er schloss die Augen und führte in Gedanken jede der nötigen Bewegungen aus. Es hätte finsterste Nacht werden können, und er wäre trotzdem mit traumwandlerischer Sicherheit durchgekommen. Mit schnellen Griffen setzte er die Kalaschnikow zusammen. Dann wartete er. Auf eine Gelegenheit. Wenn man Geduld hatte, kam immer eine Gelegenheit. Man musste nur bereit sein, sie zu nutzen.
Der Mann am Tisch beendete seine Rede. Man klatschte Beifall. Eine Stimme rief, dass man nie wieder so jung zusammenkommen werde. Er fuhr mit der Hand über den Lauf der Kalaschnikow. Stimmengewirr, Geplauder. Jemand, der ihn nicht interessierte, erzählte Geschichten, die ihn nicht interessierten, über jemanden, der ihm herzlich egal war. Keine Lügen mehr, hatte er sich geschworen. Der Tod war die Wahrheit, und angesichts dessen war es keine Geschichte wert, angehört zu werden.
Wie viel Zeit vergangen war, als im Haus das Telefon läutete, wusste er nicht, doch er wusste, dass es seine Gelegenheit war, denn das Klingeln kam aus dem offenen Fenster, durch das er einzusteigen beschlossen hatte. Auf der Veranda rief jemand: «Telefon!» Als der Mann, der die Rede gehalten hatte, aufstand und Richtung Terrassentür ging, setzte auch er sich in Bewegung. Er huschte an der Hecke entlang, bis sich die Hausecke zwischen ihn und die Tischgesellschaft geschoben hatte. Er sprang über die Hecke, lief gebückt bis zum Fenster vor. Als das Klingeln aufhörte und eine tiefe Stimme drinnen «Ja?» sagte, schob er den Kopf über die Brüstung. Der Mann im Zimmer wandte ihm den Rücken zu und blickte durch die offene Tür Richtung Veranda. Das Telefon stand auf einem hüfthohen Schränkchen nahe der Tür. Es war ein altertümliches schwarzes Gerät, dessen Hörer an einer dicken, spiralförmig gedrehten Schnur hing.
«Ja, Daniel du Toit Burger», sagte der Mann. «Mit wem spreche ich?»
Die Kalaschnikow musste er einen Moment lang auf dem Fensterbrett ablegen. Er stützte sich mit beiden Händen ab, stemmte den Oberkörper hoch und schob sich geräuschlos nach innen.
«Serious Crime Unit Windhoek?», fragte der Mann ins Telefon und griff mit der linken Hand nach der Klinke, um die Zimmertür zu schließen.
Daniel du Toit Burger. Früher besser bekannt als ‹Staal Burger›. Es hatte mal eine südafrikanische Radioserie gegeben, die so hieß, aber wahrscheinlich bezog sich der Spitzname doch eher darauf, dass er seine Jobs im Dienste der Apartheidsverbrecher wie ein Mann aus Stahl erledigt hatte. Knallhart und so sehr ohne jeden Anflug von Skrupel, dass man keinen Menschen aus Fleisch und Blut in ihm vermutete.
«Sie kannten Chappies Maree und Slang van Zyl?», fragte Clemencia ins Telefon.
Der Mann am anderen Ende schien einen Moment zu überlegen. Dann sagte er: «Das ist lange her.»
Clemencia hatte das Telefon laut gestellt, sodass Robinson und van Wyk mithören konnten. Robinson deutete auf Clemencia und formte mit den Lippen lautlos das Wort «Diamanten». Clemencia sagte: «Ihre beiden CCB-Kollegen sind in Windhoek erschossen worden, Herr Burger.»
«Unmöglich», sagte Staal Burger.
«Unmöglich?»
«Zumindest mit Maree habe ich doch
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