Die Stunde des Schakals (German Edition)
selbstausgedachten Kung-Fu-Techniken beibrachte. Die Kleinen waren begeistert, Miki Selma meinte, sie sollten nur aufpassen, dass sie die frischgewaschene Wäsche nicht herunterrissen, und auch Constancia hatte nichts gegen die Nahkampfausbildung ihrer Kinder einzuwenden. Freilich sei das keine Lösung, aber schaden würde es auch nicht, wenn man sich in Katutura zu verteidigen wisse.
Tiedtke stand etwas verloren im Vorhof herum, bis ihm Clemencia sagte, er solle sich neben ihren Vater auf die Bank setzen. Als sie mit einem Glas Wasser zurückkam, hatte sich der Rest der Familie an der Hauswand aufgereiht und starrte auf den schwitzenden Weißen. Claus Tiedtke blinzelte Timothy zu und fragte nach seinem Namen. Der Junge drückte sich an Miki Matilda und reagierte auch dann nicht, als sie ihm einen Klaps auf den Hinterkopf gab. «Nun sag dem Meneer schon, wie du heißt!»
Clemencia reichte Tiedtke das Glas Wasser. Ihre Verwandten sahen ihm beim Trinken zu, als hätte keiner von ihnen je vermutet, dass auch Weiße Flüssigkeit benötigten. Tiedtke stellte das Glas neben sich auf der Bank ab. Er sagte: «Das tut gut.»
«Weil es heute heiß ist», sagte Miki Matilda.
«Unerträglich», sagte Tiedtke.
«Das liegt am Sommer», sagte Miki Selma.
«Hoffentlich regnet es bald», sagte Tiedtke.
«Hoffentlich», sagte Miki Matilda. Damit versandete das Gespräch.
«Habt ihr eigentlich nichts zu tun?», fragte Clemencia.
«Doch», sagte Miki Selma.
«Jede Menge», sagte Miki Matilda. Sie rührte sich genauso wenig vom Fleck wie alle anderen.
«Ja, dann …», sagte Tiedtke und stand auf. Clemencia begleitete ihn zum Wagen hinaus. Die anderen stellten sich nebeneinander am Zaun auf.
«Nette Familie», sagte Tiedtke. Es klang nicht im mindesten ironisch. Clemencia dachte noch über eine Antwort nach, als ihr Handy klingelte. Es war die Zentrale. Man hatte Staal Burger in Südafrika ausfindig gemacht. Er lebte jetzt als Zuckerrohrfarmer in der Provinz KwaZulu-Natal. Ob Clemencia ihn persönlich anrufen wolle?
Tiedtke saß schon in seinem Citi Golf. Clemencia beugte sich zum offenen Fenster hinab und fragte: «Können Sie mich vielleicht im Präsidium absetzen?»
Das Haus lag außerhalb von Hluhluwe. Er musste über eine Stunde zu Fuß marschieren, erst auf einer Teerstraße, dann auf einem Feldweg, aber das machte ihm nichts aus. Ganz im Gegenteil, er hatte lange genug im Bus gesessen. Seine Wasserflasche hatte er aufgefüllt. Wenn der Schmerz durch seine Eingeweide stach, nahm er einen Schluck. Dann ging es wieder. Die gelegentlichen Anfälle von Schüttelfrost waren in der sengenden Sonne sogar ganz angenehm. Nur sein Husten klang jetzt anders. Hohler, tiefer? Ein Arzt würde ihn wahrscheinlich für krank erklären, doch er wusste es besser. Er war nicht krank und würde es auch nie werden. Er wäre gesund bis zum Ende. Dann würde er sterben, einfach so.
Erst hatte er eine Ananasplantage passiert, jetzt Zuckerrohrfelder. Links und rechts standen die Pflanzen in dichten Reihen, übermannshoch. Die Spitzen neigten sich unter dem warmen Wind. Ihr Rauschen erinnerte an ein fernes Meer.
Er war im Krankenhaus gewesen. Er wusste, wie das war. Um einen herum verreckten die Leute langsam, in diesen klapprigen Betten, in diesem Mief aus Schweiß, Verzweiflung und Desinfektionsmittel. Sterben mussten alle, aber nicht so! Er war abgehauen und hatte sich geschworen, nie mehr einen Fuß in ein Krankenhaus zu setzen. Wieso sollte er auch? Er würde nicht krank werden. Er würde einfach sterben. Er hustete.
Als das Haus am Ende der Wegschneise sichtbar wurde, blieb er stehen. Er trank ein wenig Wasser, warf sich die blaue Sporttasche über die Schulter und schlug sich seitwärts in die Plantage. Vorsichtig schob er sich durch den Urwald aus dicken Rohren, trat gleichzeitig fest auf. Wo Zuckerrohr wuchs, gab es Mäuse, und wo Mäuse lebten, waren Schlangen nicht weit. Vor Schlangen hatte er Respekt. Im Ovamboland hatte er mal gesehen, wie eine Schwarze Mamba zugestoßen hatte. Drei-, viermal. Der Kamerad war am Schreck gestorben, nicht an ihrem Gift, davon war er damals überzeugt gewesen. Nun war er derjenige, der Schrecken brachte. Und Tod. Er fragte sich, ob die Schlangen auch vor ihm Respekt hatten.
Er hörte Gelächter, blieb stehen und spähte durch die Rohre. Vor ihm lagen ein Querweg, eine niedrige Hecke und dahinter grüner Rasen, der bis fast zu der alten Landvilla reichte. Über deren ganze Breite zog sich eine
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