Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde des Schakals (German Edition)

Die Stunde des Schakals (German Edition)

Titel: Die Stunde des Schakals (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernhard Jaumann
Vom Netzwerk:
Persönlichem gründete.
    Sie dachte an ihre Mutter, die sie kaum gekannt hatte. Alles, was sie von ihr wusste, ging auf Erzählungen von Miki Selma und Miki Matilda zurück. Ihr Vater hatte nie von seiner Frau gesprochen, auch Jahre später nicht. Ob er sie noch gesehen, noch mit ihr geredet hatte, bevor sie ihrer Schussverletzung erlag? Ob sich Clemencia noch erinnern würde, wenn sie damals ihre Mutter begleitet hätte? Clemencia wusste nicht einmal, wo ihre Mutter getroffen worden war. Am Kopf, in den Rücken? Wenn das alles hier vorbei war, würde sie …
    Sie glaubte, ein leises Husten zu hören. Sofort wurde die Erinnerung an die Sekunden nach Staal Burgers Ermordung lebendig. Als die Schüsse verklungen waren, hatte der Killer gehustet. Doch hatte das am Telefon nicht anders geklungen? Tiefer? War das gerade eben vielleicht Angula gewesen? Sie blickte zu dem dunklen Autowrack nahe der Lücke des Doppelzauns. Nichts bewegte sich, nichts war zu vernehmen. Der Lichtschein im Türspalt war verschwunden. Farmhaus und Nebengebäude wirkten wie schwarze Felsen, deren Konturen verschwammen. Clemencia griff nach ihrer Pistole. Der Mond war untergegangen, die Sterne standen dicht an dicht. Keine Spur mehr von den Wolken des Nachmittags. Die Grillen sangen ihr ewig gleiches Lied. Irgendetwas stimmte nicht.
    Clemencia wagte nicht, sich zu rühren. Sie roch die Gefahr nicht, sie konnte sie spüren. Einen Hauch von Kälte, der durch die Sommernacht wehte. Ein Frösteln auf der Haut, das unaufhaltsam nach innen drang. Man konnte sich nicht dagegen wehren, man konnte sich höchstens am Griff seiner Pistole festklammern, obwohl der sich unangenehm glitschig anfühlte. Wenn Clemencia jetzt einfach in die Luft schoss? Würde der Killer abhauen, würde er auf sie das Feuer eröffnen?
    Sie stellte sich vor, dass seine erste Salve den Tank über ihr durchlöcherte. Das von der Tageshitze erwärmte Wasser würde sanft auf sie fallen, eine angenehme Dusche, die den Staub und die Ungewissheit und die Angst wegspülte. Natürlich auch das Blut, wenn sie getroffen worden wäre. Sie würde zusehen, wie die verdünnte rote Flüssigkeit nach unten tropfte, und an ihre Mutter denken, die sie nie kennengelernt hatte, und sie würde darauf warten, dass der Tod langsam die Leiter hochkletterte, ihr die Hand auf die Schulter legte und sagte: «Es ist Zeit!»
    Aber das war alles Unsinn! Sie wusste ja nicht einmal, ob der Killer tatsächlich hier war. Vielleicht hatte sie gar kein Husten gehört, sondern das Grunzen eines Erdferkels, das Schnauben eines Mulis von der Werft drüben, das Knurren eines der Bullterrier vor dem Farmhaus. Jetzt hörte sie jedenfalls nur noch das mächtige Zirpen der Grillen. Clemencia legte die Pistole auf die Bretter vor sich und wischte sich die schweißnassen Hände an der Hose ab.
    Es gibt Geräusche, die einen im Zweifel lassen. Sei es, weil sie zu undeutlich sind oder weil man Gründe hat, sie nicht als das zu identifizieren, was sie sind. Etwas, das sich wie Husten anhört, könnte alles Mögliche sein, wenn man in einer heißen Sommernacht auf einer einsamen Farm in der Kalahari wacht. Andere Geräusche sind eindeutig. Zum Beispiel das eines Anlassers, der orgelt, stottert, zündet. Jemand gibt Gas, der Motor dreht hoch, Scheinwerfer flammen auf.
    Es war der Bakkie mit den Stacheldrahtrollen auf der Ladefläche. Er stand keine zwanzig Meter von Clemencia entfernt. Das heißt, er hatte gerade eben noch dort gestanden, und nun hatte er sich in Bewegung gesetzt, rumpelte am äußeren der beiden Zäune entlang, holte in einem Bogen nach links aus. Das Scheinwerferlicht strich über Sand und Steine, streifte das Autowrack, hinter dem eine schattenhafte Gestalt, die Angula sein musste, abtauchte, erfasste dann die Fahrspur und bog auf sie ein. Der Fahrer hielt auf die Lücke im Doppelzaun zu, beschleunigte, blendete auf. Das Fernlicht flutete über die Front des Farmhauses, zeigte das verwaschene Weiß der Mauer, die grüngestrichene Eingangstür und davor die beiden Bullterrier, die aufgesprungen waren und mit vorgerecktem Kopf gegen die Scheinwerfer anbellten.
    Clemencia griff nicht nach ihrer Pistole. Sie kletterte auch nicht die Leiter hinab. Sie vermochte sich nicht zu bewegen, sah nur zu, wie der Bakkie mit aufheulendem Motor auf die Bullterrier zuschoss, sah den einen zurückweichen, den anderen mit gefletschten Zähnen nach vorne springen. Die Kette glänzte im Licht, straffte sich, und dann war da ein

Weitere Kostenlose Bücher