Die Stunde des Venezianers
darüber nachzudenken. Meinen Anteil dazu habe ich geleistet. Ich bin sogar so weit gegangen, ihm Gold zu leihen, obwohl es mir vermutlich Ärger einbringen wird. Und er versprach, mir in Kürze seine Entscheidung mitzuteilen.«
»Der Herzog ist kein Kaufmann.«
Ruben beachtete ihre Worte nicht.
»Seit der Audienz habe ich nichts mehr vom Herzog gehört. Keine Nachricht. Keine Einladung. Nur die Aufforderung seines Haushofmeisters, mein Gold gegen die Juwelen zu tauschen, die er mir als Sicherheit verpfändet hat. Die Hochzeitsfeiern dauern nicht ewig. Die Zeit drängt, wenn mein Plan Erfolg versprechen soll.«
»Fragt ihn, nicht mich.«
»Wann und wo? Ihr wisst selbst, wie unmöglich es für mich ist, bis zu ihm vorzudringen. Deswegen brauche ich Eure Hilfe. Brügge braucht Eure Hilfe. Das sollte Euch das Herz öffnen. Und sagtet Ihr nicht, Ihr wollt Brügge kennenlernen?«
Die Überschwänglichkeit seiner Worte machte sie auf gefährliche Weise schwach. Sie lächelte, wollte widersprechen und war gleichzeitig schon gefangen von der Möglichkeit, ihm einen Gefallen zu tun. Beides vermischte sich und setzte ihren Verstand matt.
»Was ist das überhaupt für ein Geschäft, das Ihr dem Herzog angetragen habt?«
Ruben zögerte, wollte sie mit einer oberflächlichen Antwort abspeisen und entschied sich nach einem intensiven, forschenden Blick in ihr aufmerksames Gesicht tollkühn für die Wahrheit.
»Ich gebe mich in Eure Hand, Aimée. Ihr habt gehört, dass Gent aufgrund des Getreidestapelrechtes Brügge förmlich ausplündern kann. Es weiß den Grafen von Flandern dabei auf seiner Seite, weil er um jeden Preis neue Unruhen vermeiden will. Damit der Graf seine Meinung ändert und Brügge unterstützt, muss Schwerwiegendes geschehen. Gäbe es beispielsweise einen Aufstand der Genter Bevölkerung gegen die erstarkende Macht Frankreichs in Flandern, der durch falsche Gerüchte geschürt wird, bliebe ihm gar nichts anderes übrig, als Gent zu verurteilen. Er wäre gezwungen, die Bürger Gents empfindlich zu strafen. Die Aberkennung des Stapelrechtes wäre eine solche Strafe. Der Herzog von Burgund könnte ihm diesen Vorschlag unterbreiten. Sein Wort hat Gewicht, zudem ist er der Bruder des regierenden französischen Königs.«
»Wo liegt dabei, neben dem Kredit, den Ihr ihm eingeräumt habt, der Vorteil für den Herzog?«
Ruben bewunderte ihren Scharfsinn.
»Wahrhaftig, Ihr denkt wie ein Mann. Genau das hat er mich auch gefragt. Wenn das Getreidestapelrecht der Genter aufgehoben wird, entsteht endlich ein Gleichgewicht zwischen den Städten, und Brügge wird dem Herzog diese Erleichterung mit Treue und Loyalität danken.«
Aimée packte ihn am Arm. »Und das wollt Ihr mit Aufruhr und Blutvergießen erreichen?«
Ruben versuchte sie zu beruhigen, indem er den Arm um ihre Taille legte.
»Fasst Euch, Aimée. Gent kämpft seit Jahren mit viel übleren Mitteln gegen Brügge. Wenn wir uns nicht wehren, gehen wir unter.«
»Habt Ihr dieses Schurkenstück tatsächlich dem Herzog vorgeschlagen?«
»Er reagierte nicht so entrüstet wie Ihr.«
»Das kann ich mir nicht vorstellen. Ihr nehmt mich nicht ernst.«
Aimée befreite sich aus seinem frechen Griff und ging auf Abstand. Trotz des ihr widerlichen Rosenduftes atmete sie tief durch. Sie versuchte ihm klarzumachen, wie absurd seine Idee war.
»Euer Plan ist verbrecherisch. In der Regel werden bei solchen Aufständen unschuldige Menschen getötet.«
»Tadelt lieber die Genter, die seit Jahren Kapital daraus schlagen, dass Brügge Brot braucht. Ihnen ist kein Mittel zu schäbig, wenn nur gewährleistet ist, dass ihre vollen Truhen noch voller werden. Wisst Ihr, dass der Rat von Gent sogar Anweisung gegeben hat, in den Dörfern rund um die Stadt alle Webstühle zu zerschlagen? Sie reiten bewaffnete Überfälle gegen ihre eigenen Leute, die doch nur die Wahl haben, zu arbeiten oder zu verhungern. Sie ahnden jeden Kupferpfennig, der ihren städtischen Gewinn schmälert.«
»Ihr könnt nicht eine Ungerechtigkeit gegen eine andere aufrechnen«, widersprach Aimée.
Ihre Blicke trafen sich. Sie suchte in seinen Augen nach einem Zeichen des Nachgebens. Sie traf nur auf unerschütterliche Überzeugung. Ruben glaubte sich so sehr im Recht, dass sie einen neuen Versuch machte, zu begreifen, worum es ihm ging. Soviel sie auch von Flandern wusste, sie war eine Fremde in der Grafschaft. Sie kannte weder die Verhältnisse in Gent noch die in Brügge. Das Einzige, was sie mit
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