Die Stunde des Venezianers
ihren Vetter und deren Männer. Das war jede Anstrengung wert.
Ihr war freilich klar, dass sie einen Plan dieser Größenordnung nicht ohne Hilfe verwirklichen konnte. Ohne die Hilfe eines Mannes, der über die Stadtmauern von Brügge hinausblickte und ihr nicht wie Colard mit kleinlichen Einwänden kam.
Sie brauchte den Venezianer.
40. Kapitel
B RÜGGE , 6. J ULI 1372
»Welcher Teufel hat Euch nur geritten, Venedig zu verlassen?«
Domenico Contarini sah seinen aufgebrachten Partner ruhig an.
»Mein Onkel, der Doge von Venedig, wird es nicht schätzen, dass Ihr ihn für einen Teufel haltet. Es war sein Befehl, der mich nach Norden gesandt hat.«
»Sein Befehl und Euer Talent zum Ränkeschmieden«, verbesserte Salomon. »Macht mir nichts vor. So sehr Venedig daran interessiert ist, dass der Seeweg nach Norden, zwischen Frankreich und England hindurch, unbehindert passierbar ist – die Idee, zwischen den Kriegsparteien zu vermitteln, stammt von Euch und nicht von Eurem Onkel. Was hat Euch bewogen, das zu versuchen?«
»Ihr vergesst die Interessen des Bankhauses Contarini. Immerhin finanzieren wir einen großen Teil der Geschäfte, die von den nordischen Hansekaufleuten in dieser Stadt gemacht werden«, erklärte Contarini. »Wenn ihre Aktivitäten behindert werden, schmälert das unseren Gewinn.«
»Ich glaube nicht, dass dies der Grund für eine solche Transaktion ist. Diese Reise ist nicht ungefährlich.«
»Hört auf, mich zu belehren, mein Freund. Berichtet mir lieber, was es in Gent und Brügge Neues gibt«, versuchte Contarini abzulenken.
Salomon griff nach dem Bierkrug und leerte ihn in wenigen Zügen, während Contarini den Rotwein in seinem Pokal nur nachdenklich betrachtete. Durch die offenen Fenster drang ungewohnter Lärm vom Walplein herauf.
Das stolze Brügge feierte, seit der Graf von Flandern und seine Gäste in der Burg am großen Marktplatz Residenz genommen hatten. Die Bürger der Stadt fühlten sich nach langer Zeit wieder einmal von höchster Stelle in ihrer Wichtigkeit bestätigt. Wer nicht in die Burg geladen war, begoss diesen Umstand in den Schenken und Wirtshäusern, auf den Gassen und Straßen. Lediglich die Wachen auf dem Belfort und auf den Wällen gingen ihrer Pflicht nach.
Salomon war erst an diesem Nachmittag aus Gent zurückgekommen. Seine Bürger schäumten vor Wut darüber, dass Brügge den Herzog und seine Gemahlin beherbergen durfte. Der Volkszorn drängte sogar die abenteuerlichen Gerüchte über die Patrizierfamilien Rijm und Alijn in den Hintergrund, deren Feindschaft angeblich so weit ging, dass sie gegenseitig ihre Kinder ermordeten.
»Man muss Gott dafür danken«, beendete Salomon seinen Bericht. »Dass es sich bei diesen Hitzköpfen um waschechte Flamen und nicht um Kinder Israels handelt. Wer weiß, was sonst aus dieser Mordgeschichte gemacht worden wäre.«
»Hattet Ihr Schwierigkeiten in meiner Abwesenheit?«
»Keine von Bedeutung. In einer Stadt, die Handelskontore aus siebzehn verschiedenen Nationen beherbergt, fallen noch nicht einmal die Juden auf.«
Die bittere Bemerkung sorgte für kurzes Schweigen. Contarini trank endlich, ehe er von neuem das Wort ergriff. »Was wisst Ihr über das Haus Cornelis?«, begann er zu Salomons Verblüffung. »Gibt sich Colard de Fine nach seiner Verheiratung mit dem Haus Korte tatsächlich damit zufrieden, Aimée Cornelis' Befehle auszuführen? Ich habe nur wenige Worte mit ihm gewechselt, aber dabei versuchte er, den Eindruck größter Beflissenheit zu erwecken. So sehr, dass es Verdacht erregt.«
»Dann hat Euch mein Brief nicht mehr erreicht?« Salomon sah erschrocken auf. »Ein Warentransport des Hauses Cornelis wurde zu Beginn des vergangenen Monats, kurz vor Reims, von Söldnern überfallen. Bis auf einen Schwerverletzten, der die Nachricht überbrachte, gibt es keine Überlebenden. Die Waren, Gewürze, Edelsteine und Rauchwerk, sind auf Nimmerwiedersehen verschwunden. Der Verlust ist erheblich, denn das Haus Cornelis musste für die Waren in Vorlage treten.«
»Söldner? In welchen Diensten?«
»Man spricht von den Engländern, aber ich bezweifle es. Das Ganze sieht nach einem gezielten Schlag gegen Frau Aimée Cornelis aus. Die Dame hat sich Feinde gemacht.«
»Wo? In Burgund? In Brügge? Im eigenen Haus?«
»Das möchte sie vermutlich selbst gerne wissen.« Salomon zögerte, aber dann gab er seine Gedanken doch preis. »Ich würde mich nicht wundern, wenn Anselm Korte seine Finger im Spiel hätte. Seit
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