Die Stunde des Venezianers
seine Tochter mit de Fine verheiratet ist, tritt dieser auf, als gehöre ihm auch das Haus Cornelis. De Fine, der es offiziell bei Zünften und Magistrat vertritt, macht keine Anstalten, sich gegen diese Anmaßung zur Wehr zu setzen. Der Mann ist ein Schwächling.«
»Oder er steckt mit seiner Frau und Korte unter einer Decke. Habt Ihr mit der Handelsherrin über die Sache gesprochen?«
»Nein. Sie ist nach Male zur Herzogin gegangen, ohne sich mit mir in Verbindung zu setzen. Ich frage mich, aus welchem Grund? Bislang haben wir uns meist über die anliegenden Probleme ausgetauscht.«
Contarini erhob sich von seinem Stuhl und trat an das Fenster. Er hielt sich im Schatten, damit man ihn von außen nicht erkennen konnte, aber er hatte den ganzen Walplein vor Augen. Der nahe Stadtwall war von Pechfackeln erleuchtet. Das Gelächter der Männer, vereinzelte Frauenstimmen und die melodiösen Laute einer Fidel aus dem Gasthaus an der Wallstraat verbanden sich zur ausgelassenen Melodie dieser Nacht.
Er roch den Duft der blühenden Linden und das Brackwasser der Seitenkanäle. Gemischt mit den Schwaden von Bratendunst und altem Bier aus den Schenken, dem satten Gestank des städtischen Unrats und der Wärme, die von den sonnendurchglühten Backsteinmauern aufstieg. Es roch nach Brügge. Er hatte diesen Geruch vermisst, wie so vieles anderes.
Er atmete mehrmals tief ein, während seine Augen sich an den vertrauten Bildern erfreuten.
Ob Aimée Cornelis die Stadt ebenso wie er vermissen würde, wenn sie mit Alain von Auxois fortzog? Er konnte sich nicht vorstellen, dass der Ritter ihr gestattete, das Handelshaus weiter zu führen. Sie würde es an Colard de Fine abtreten müssen, und auch in diesem Falle geriet es unter die Macht des alten Korte.
Eine Gruppe angeheiterter Färber, erkennbar an ihren Kitteln und den blauen Händen, riss ihn aus seinen trüben Gedanken. Sie verfolgten eine Frau, die leichtsinnigerweise ohne Begleitung unterwegs war. Sich immer wieder umsehend, rannte sie mit gerafften Röcken auf den Walplein und wurde schließlich eingekreist von den Männern, die sich einen Spaß daraus machten, ihr Opfer in die Enge zu treiben.
Die Frau erwehrte sich der Männer, so gut es eben ging. Sie hatte die Arme über den Kopf geschlagen und presste sich gegen eine Wand.
Contarini musste kein zweites Mal hinsehen: Es war Aimée. Die Situation drohte zu eskalieren. Ein Messer blitzte in Aimées Hand auf.
Er traf seine Entscheidung so schnell, dass Salomon erst aufmerksam wurde, als er schon zur Tür hinausstürzte. »Was zum … Wohin wollt Ihr?«
Die Frage verhallte unbeantwortet, während Contarini die Treppe hinabrannte und den Riegel der großen Eingangstür zurückriss. Wie eine Spukgestalt tauchte er inmitten der Färber auf. Ganz in Schwarz gekleidet, mit der unerbittlichen Miene eines Mannes, der es ernst meinte. Er packte Aimées Hand mit dem Dolch und zog sie gleichzeitig in die Sicherheit seiner Arme.
»Bist du verrückt? Das Weib gehört uns!«
»Wer ist der Kerl?«
»Ein Fremder.«
»Aber einer, der euch Schwierigkeiten machen wird«, erhob Contarini die Stimme kühl über das Geschrei hinweg. Schlagartig hatte er für allgemeine Ruhe gesorgt. Die angeheiterten Männer mühten sich um Nüchternheit.
»Man wird doch noch einen Scherz machen dürfen«, hörte er sie murren.
»Macht euch aus dem Staub«, befahl er. »Auch an Festtagen sieht es der Magistrat der Stadt nicht gerne, wenn Färbergesellen ehrbare Bürgerinnen belästigen.«
»Das soll eine ehrbare Bürgerin sein? Dass ich nicht lache«, widersetzte sich ein Glatzkopf, mit Händen so groß wie Bäckerschaufeln. »Seht Euch die Dirne doch an, Meister. Das ist ein leichtfertiges Herzchen, das nachts allein in den Gassen seinen Spaß sucht.«
Aimée wollte dieser Beleidigung wütend entgegnen und versuchte sich aus Contarinis Armen wieder zu befreien. Er hatte Mühe, ihr Aufbäumen zu zähmen.
»Seid still«, murmelte er an ihrem Ohr. »Oder wollt Ihr die Männer noch mehr in Rage bringen? In gewisser Weise haben sie ja recht.«
Sie gab nach, und er nahm sich den Glatzkopf unter ihnen vor.
»Wollt ihr, dass wir die Sache vom Stadtbüttel klären lassen?«, fragte er gleichmütig. »Ich nehme an, dass er euch erst einmal zum Ausnüchtern in den Turm sperren wird.«
Maulend und zögernd zogen sich die Färber zurück. Auch sie wussten, dass die Büttel in einer solchen Nacht hart durchgreifen würden. Erst als der letzte in der
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