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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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Wettbewerb der Bogenschützengilden«, nickte Colard. »Solange sie in der Gunst der Herzogin steht und das auf das Haus Cornelis abfärbt, müssen wir gute Miene zu ihrem Spiel machen.«
    »Was ist von dem Gerücht zu halten, dass sie einen der Ritter des Herzogs heiraten wird?«, fragte Gleitje neugierig.
    »Woher weißt du davon?«
    »Der Tratsch hat Flügel«, erwiderte sie beiläufig. »Und? Stimmt es?«
    »Du wirst sie selbst fragen müssen, wenn sie zurückkommt«, antwortete Colard, den schon die Erinnerung an das Gespräch mit Aimée verstimmte. »Mir vertraut sie nicht länger.«
    »Alles andere wäre ja auch eine Dummheit«, erwiderte Gleitje nüchtern. »Und dumm ist sie nicht.«
    Es schien Colard, als wolle sie noch etwas sagen, aber sie besann sich und schwieg. Nicht zum ersten Male kam ihm der Gedanke, dass Gleitje etwas vor ihm verbarg.

38. Kapitel
    B URG VON M ALE , 5. J ULI 1372
    Aimée schlug die Blendläden vorsichtig nach außen.
    Es war eine laue Sommernacht. Alain schlief hinter ihr auf zerwühlten Decken. Er hatte noch nicht bemerkt, dass sie sich aus seinen Armen gelöst hatte. Sie wachte über seinen Schlummer. Bei Sonnenaufgang würde er mit einem Trupp seiner Männer nach Calais aufbrechen und sie verlassen.
    Die Arme vor den bloßen Brüsten verschränkt, stand sie mit gelöstem Haar reglos am Fenster und sah auf das nächtliche Land hinaus.
    Die vergangenen Tage hatten ihr ein Wechselbad extremer Gefühle aus Trauer und Verzweiflung, Leidenschaft und Glück, Freundschaft und Geborgenheit, Angst und Besorgnis beschert.
    Sie war sich bei dem Gedanken an den bevorstehenden Abschied nicht im Klaren darüber, was sie für Alain empfand. Sie hatte Nächte der leidenschaftlichen Befriedigung erlebt. Seine Zärtlichkeit und Liebe hatten sie ermutigt. Im Stillen gab sie der Herzogin recht. Die Liebe veränderte das Leben. Und doch war es ihr nicht möglich, die Entscheidungen zu treffen, die Alain von ihr erwartete. Schon jetzt war sie sich sicher, dass sie diese Nächte vermissen würde, aber die Erfüllung gaben sie ihr nicht. Es fehlte der Gleichklang in den Fragen des Lebens.
    »Wo bist du mit deinen Gedanken?«, raunte Alain an ihrem Ohr und umfing ihre Schultern mit einer Umarmung. Aimée erschrak. Sie hatte ihn nicht gehört und fühlte sich ertappt. Sein liebevolles Lachen machte ihr klar, dass er nicht ahnte, was hinter ihrer Stirn vorging.
    »Ich wollte dich nicht wecken. Du brauchst deinen Schlaf«, antwortete sie ausweichend.
    »Du auch. Aber seit dieser de Fine aus Brügge da war, bist du nicht mehr du selbst. Um was geht es? Was beunruhigt dich?«
    »Vergiss Colard de Fine«, antwortete sie hastig. »Die Probleme des Handelshauses sind jetzt nicht wichtig.«
    »Aber sie bedrücken dich. Leugne es nicht. Ich kann es fühlen!«
    »Du siehst Gespenster«, murmelte sie, und es überfiel sie auf einmal ein schlechtes Gewissen. Schlagartig war ihr klar, dass sie dabei war, ihn zu belügen, dass sie ihm eine Liebe vortäuschte, die sie nicht empfand, dass sie dabei war, sich selbst zu verraten, dass sie sich endlich eingestehen musste, was sie so hingezogen hatte zu ihm. Dass er der Lückenbüßer für Contarini war. Dem Venezianer gehörte ihre Liebe.
    Er hatte sie damals ermutigt. Er hatte ihr Gelegenheit gegeben, sich ihres Erbes annehmen zu können. Er hatte sie immer schon angezogen, mehr als ihr je bewusst war oder sie sich eingestehen wollte.
    Er war unerreichbar. Und doch: Sie wollte sich keines Betruges an Alain schuldig machen. Sie würde es ihm sagen. Wenn er zurückkam. Nicht jetzt.
    Um Alain zu beruhigen, schmiegte sie sich an ihn. »Hör auf, dich um mich zu sorgen.«
    »Ebenso gut könntest du mir befehlen, nicht mehr zu sehen, zu hören und zu atmen«, erwiderte Alain und küsste sie auf ihren Scheitel. »Du weißt, was ich für dich empfinde. Es widerstrebt mir, dich ohne meinen Schutz zurückzulassen.«
    »Ich bin eine Bürgerin Brügges, und als solche fühle ich mich sicher, mein Freund. Wehrhafte Mauern und ganze Kompanien von Bewaffneten sind zu unser aller Sicherheit aufgeboten. Nicht umsonst sucht der Graf von Flandern die Männer seiner Leibwache aus den tapferen Männern der Bogenschützengilden von Sankt Sebastian und Sankt Jons aus.«
    »Ich muss gestehen, dass ich mich mehr um deine Person als um die Sicherheit Brügges sorge, Liebste. Du bleibst ohne den Schutz eines Mannes oder eines Familienoberhauptes zurück, wenn der Herzog Flandern verlässt. Du bist

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