Die Stunde des Venezianers
noch für mich siegeln. Meine Hand verweigert den Dienst …«
Er bettete sie sorgsam zwischen die Kissen des Alkovens und häufte Decken über sie. Ihre Hände waren eiskalt, ihr Atem kam rau und stockend.
»Ihr habt Euch völlig verausgabt, Mutter. Ich hole Eure Kammerfrau. Sie soll Euch Gewürzwein und …«
»Bitte bleib!«
Sogar tonlos und kaum hörbar behielt ihre Stimme Autorität. Jean-Paul beugte sich über sie, damit ihm keine Silbe entging.
»Bleib, mein Sohn. Es wird mit einem Mal so dunkel um mich.«
Jean-Pauls Augen suchten erschrocken das Fenster. Hinter dem Maßwerk der Säule, die das Rechteck und zwei Bögen teilte, flirrte die Sonne. Das Licht verwandelte den Doubs, der unterhalb der Burg seinen Weg durch Wälder und Felsschluchten suchte, in flüssiges Silber. Der Sommer drang voller Wärme und Helligkeit bis in den Söller von Andrieu. Doch mit einem Schlag wurde auch ihm eiskalt.
»Versprich mir, dass Aimée meinen Brief und dieses Kästchen so schnell wie möglich erhält.«
»Ihr könnt Euch darauf verlassen, Mutter.«
»Schwöre es bitte, bei deiner Ehre.«
Er kämpfte einen Anflug von Verstimmung nieder. Sie wusste doch, dass er alles für sie tat. Er liebte sie viel zu sehr, um sie zu enttäuschen.
»Ihr habt mein Wort«, sagte er.
»Gut«, antwortete sie erschöpft. »Brich auf, sobald ich eingeschlafen bin. Aber bis dahin bleib bitte bei mir. Ich bin müde, aber ich möchte nicht allein sein. Ich mochte nie allein sein.«
»Ihr seid nicht allein, Mutter. Wir sind alle bei Euch. Meine Frau, meine Söhne. Wollt Ihr, dass ich nach ihnen schicke?« Er mühte sich, seine Worte leichthin klingen zu lassen, obwohl er begriff, dass sie Abschied nahm. Er sollte aufstehen, die Familie rufen, nach dem Priester für die letzte Ölung schicken. Aber er saß wie erstarrt auf der Bettkante, unfähig, sich zu bewegen oder die Hände seiner Mutter freizugeben.
»Es ist zu spät«, antwortete sie mühsam.
Ein Zucken lief durch ihre Finger. Ein sanftes Lächeln legte sich auf ihre Züge. Es machte sie jung und anrührend schön.
»Sag ihnen, dass ich sie geliebt habe und dass ich sie segne.«
Im Griff seiner Hände glaubte er zu spüren, wie das Leben aus ihr wich, wie die Anstrengung nachließ und dem Frieden Platz machte.
»Mathieu.«
Es war kaum mehr als ein Seufzer, doch er hatte den Namen seines Vaters wohl verstanden.
»Mutter?«
Jean-Paul sah in das stille Antlitz. Er legte die Stirn auf ihre Hände, die noch immer mit seinen verbunden waren. »Mutter.«
Violante von Andrieu hörte ihn nicht mehr.
7. Kapitel
G ENT , G RAVENSTEEN , 28. JUNI 1369
Das Hochzeitsgemach duftete so betäubend nach Rosen und Honig, dass Aimée husten musste. Überall brannten Honigwachskerzen, und das Bett war mit Rosenblättern übersät. Ausgerechnet Rosen. Aimée hätte am liebsten kehrtgemacht.
In ihrem Rücken tuschelten die Hofdamen, und die Herzogin erteilte Befehle. Sie winkte Aimées Kammermagd herbei.
»Ans Werk, Mädchen. Deine Herrin braucht Hilfe. Es bleibt uns nicht viel Zeit bis zum Eintreffen des Bräutigams.«
Lison löste geschickt die Schlaufen des Gewandes. Die hellgrüne Atlasseide mit den goldenen Margeritenblüten wog fast so viel wie der Kampfharnisch eines Ritters. Die Stickerei wies das Kleidungsstück als Eigentum der Herzogin aus. Sie liebte es, ihren Namen auf Kleider und Wäsche sticken zu lassen. Aimée war nicht gefragt worden, ob es ihr gefiel.
Sie sehnte sich nach einem Augenblick des Innehaltens. Seit ihrer Audienz beim Herzog war ihr keine Ruhe vergönnt gewesen. Nicht einmal ein ungestörtes Wort mit Ruben, so dass ihre Frage noch immer auf eine Antwort wartete. Was hielt er von dieser überstürzten Heirat, was empfand er für sie?
»Setzt Euch auf diesen Hocker, meine Liebe, damit das Mädchen Euer Haar bürsten kann.« Die Herzogin sah auf Aimée herab und suchte umständlich nach Worten. »Es wäre die Sache Eurer Mutter, mit Euch zu sprechen«, begann sie.
Die Sache meiner Großmutter, verbesserte Aimée sie im Stillen. Sie ahnte, worauf die Herzogin hinauswollte.
»Die Ehe bringt viel Neues für Euch, aber Ihr müsst keine Angst davor haben. Der Beischlaf ist nur beim ersten Mal unangenehm. Je weniger Ihr Euch den Wünschen Eures Mannes widersetzt, um so eher ist es vorbei.«
Aimée nickte gehorsam und ließ sich weder Furcht noch Unsicherheit anmerken. Inzwischen trug sie lediglich ein feines Leinenhemd, das kaum die Konturen ihres Körpers
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