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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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Schankstube herrschte ähnlicher Betrieb wie an jenem schicksalhaften Abend, aber der behäbige Hausherr fehlte, als er nach ihm fragte.
    »Setzt Euch und wartet auf ihn, wenn es so dringend ist«, riet eine vorbeieilende Magd, die seine Frage nach Meister Calmette nur mit einem Schulterzucken beantworten konnte.
    Domenico, von der geringen Anstrengung des Treppensteigens bereits außer Atem, sank auf eine freie Bank. Unter den herumeilenden Mädchen entdeckte er seine Pflegerin. Sie versorgte ihn mit einem Krug Bier und setzte eine Holzschale vor ihm ab, in der Kohl und Speckstücke dampften.
    »Dann muss ich es nicht hinaufschleppen«, wehrte sie jeden Dank ab.
    Domenico tauchte den Holzlöffel in den Eintopf und kaute bedächtig, während er einem Gespräch an seinem Nebentisch lauschte. Es ging um die Zwistigkeiten mit England.
    Der französische König hatte der Klage des Grafen Armagnac gegen die Erhebung einer englischen Sondersteuer stattgegeben und die Engländer damit gründlich verärgert.
    Die Gebiete des mächtigen Grafen lagen in jenem Teil Frankreichs, der unter englischer Oberhoheit stand. Um den Anschein einer friedlichen Lösung zu wahren, hatte der französische König den englischen Monarchen nach Paris gebeten.
    »Angeblich hat der Engländer Seiner Majestät geantwortet, wenn er nach Paris käme, dann nur mit dem Helm auf dem Kopf«, erzählte ein Fuhrknecht, der geradewegs aus Paris kam. »Damit ist der Friede von Brétigny das Pergament nicht mehr wert, auf dem er steht. Es herrscht wieder Krieg zwischen Frankreich und England. Überall werden die Stadtbefestigungen verstärkt und Soldaten angeworben.«
    Die Gesprächspartner wechselten das Thema. Jetzt ging es um den Herzog und seine Gemahlin, die Gent schon vor gut zwei Wochen verlassen haben sollten. Dem Vernehmen nach war der Hof unterwegs in die Pariser Residenz des Fürsten.
    In Domenicos Kopf begann es fieberhaft zu arbeiten. Wenn Andrieus Nichte der Herzogin diente, hatte er sie in Gent nicht angetroffen. War er ihr nach Paris gefolgt – wie sollte er Andrieu folgen, um wieder zu den Diamanten zu kommen? Wo zum Henker blieb nur der Wirt?
    Er konnte einfach nicht glauben, dass Andrieu seinen Weg fortgesetzt haben sollte, ohne ihm eine Nachricht zu hinterlassen. Er hatte einen anderen Eindruck von ihm gewonnen. Domenico klammerte sich an die Hoffnung, der Wirt habe diese Nachricht für ihn.
    Bis Meister Calmette schließlich aus seinem Weinkeller auftauchte, war er am Ende seiner Geduld.
    »Wollt Ihr mir etwa Vorwürfe machen?«, verwahrte sich der Wirt gegen seine schroffe Begrüßung. »Wir haben unsere Christenpflicht an Euch getan.«
    »Der Seigneur von Andrieu hat Euch mehr als ausreichend dafür bezahlt«, gab Domenico zurück.
    Die Röte, die dem Wirt ins Gesicht stieg, bestätigte ihm, dass er es richtig getroffen hatte.
    »Ihr lebt seit einem guten halben Monat unter meinem Dach, Herr. Ihr esst, trinkt und schlaft in einer Herberge. Dass das was kostet, muss Euch klar sein, und die Münzen des Seigneurs sind längst aufgebraucht«, verteidigte er sich und fuhr grob fort: »Ihr könnt von Glück sagen, dass ich Euch nicht schon heute auf die Straße setze. Aber ich würde es gern sehen, wenn Ihr Eure Reise in absehbarer Zeit fortsetzt. Wir sind kein Hospiz.«
    »Das werde ich, aber zunächst möchte ich wissen, ob der Seigneur etwas für mich hinterlassen hat.«
    »Hat er nicht.«
    »Er ist ein Ehrenmann. Er würde einen Ausgeraubten nie ohne eine Nachricht zurücklassen«, drang Domenico unangefochten auf Meister Calmette ein. »Er hat Euch nicht einmal ein paar Worte des Abschieds für mich aufgegeben?«
    »Hat er nicht.«
    Domenico spürte, ahnte, nein, wusste, dass der Wirt log, aber er musste es hinnehmen, wie er es hinnehmen musste, sich bei einem vorbeikommenden Handelszug als Fuhrknecht zu verdingen, um nach Brügge zu kommen. Er konnte nicht blindlings nach Gent oder Paris stürmen. Er brauchte neben Geld auch einen vernünftigen Plan und Informationen. Das erhielt er nur in seinem Haus am Walplein.
    Meister Calmette sah ihm nach und freute sich über die gefüllte Börse, die der Seigneur für den Venezianer bei ihm hinterlegt hatte. Die Wünsche für seine Genesung und die herzliche Einladung, die Burg von Andrieu zu besuchen, falls ihn sein Weg in die Comté führte, behielt er natürlich aus guten Gründen für sich.
    Ein Herbergswirt musste in diesen unsicheren Zeiten sehen, wo er blieb.

13. Kapitel
    B RÜGGE ,

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