Die Stunde des Venezianers
Brügge?«, fragte Aimée weiter. »Die Galeeren passieren Sluis, wenn sie über den Zwin nach Brügge kommen.«
»Das mag wohl sein«, entgegnete Joris vorsichtig. Er wusste nicht, wie weit Ruben seine Frau in seine Reisepläne eingeweiht hatte. »Aber ich denke, dass sie wie üblich nicht vor September eintreffen werden. Ganz Brügge ist dann auf den Beinen, um die Schiffe und die fremdländischen Männer zu bestaunen, die sie rudern und bewachen.«
»Erwarten auch wir Luxuswaren und Gewürze mit diesen Schiffen?«
»Erwarten ja. Aber ob wir die Mittel haben werden, ein Geschäft abzuschließen, weiß der Himmel.«
»Was passiert, wenn wir keine Waren abnehmen können?«
»Um die Geschäfte kümmere ich mich nicht. Das macht Ruben.«
»Was geschieht mit dem Gold, das Colard für den Schmuck erhalten hat?«
»Colard und Ruben werden es zum Besten des Hauses Cornelis einzusetzen wissen.«
Aimée schwieg bedrückt. Joris war zwar mitteilsam, über Rubens und Colards Pläne verlor er jedoch kein Wort. Seine Freundlichkeit, die sie so sehr schätzte, ging nicht so weit, dass er ihr reinen Wein einschenkte. Der Herzog hatte es sich zu einfach vorgestellt. Es war nicht so leicht, Einfluss auf Ruben zu nehmen, wenn man seine Pläne nicht genau kannte.
Sie ahnte nicht, dass sie wenige Straßen weiter Gesprächsthema war. Trina horchte Colard im Wollsack unverblümt aus.
»Hat Ruben seine Frau schon geschwängert? Er hat seinen alten Lebenswandel wieder aufgenommen.«
»Woher soll ich das wissen?« Colard starrte wütend in seinen Bierkrug. »Was hast du über ihn gehört?«
»Dass er in den Hafenschänken von Sluis in übler Gesellschaft gesehen wird. Ist es wahr, dass er mit der Koralle auf Fernhandelsfahrt gehen will?«
»Erzählt man sich das?«
»Es sieht nicht so aus, als machte ihn die Ehe vernünftiger«, erwiderte Trina lachend. »Ärgere dich nicht. Du kennst ihn. Wie ist seine Frau eigentlich? So, wie man sagt: schön, eitel, herablassend?«
»Anders«, antwortete Colard gedankenvoll.
Das eine Wort genügte, Trina aufs höchste zu alarmieren. »Wie anders?«
Sie erhielt keine Antwort.
14. Kapitel
B RÜGGE , 1. A UGUST 1369
Gegen die Sonne sah der livrierte Hausknecht am Walplein nur eine sehnige Gestalt, die eben noch einmal die Hand nach dem Türring ausstreckte, um das Klopfen zu wiederholen. Staubige Kleider, wirres Haar und der Gestank von Ochsenmist ließen ihn ein vorschnelles Urteil über den ungeduldigen Besucher fällen.
»Pack dich, Spitzbube! Wer Arbeit in diesem Haus sucht, kommt gefälligst durch den Hof. Dreckskerle wie du haben ohnehin keine Chance.«
»Wer weiß, vielleicht brauchen wir bald einen neuen Türhüter, der bessere Augen hat«, entgegnete Domenico kühl.
Er schob den Mann mit unerwarteter Kraft beiseite. Auf der ersten Treppenstufe wandte er sich, die Hand auf dem geschnitzten Lauf, zu dem Lakaien um, der ihn mit offenem Mund anstarrte.
»Ein Bad. Frische Kleider. Eine Mahlzeit. In dieser Reihenfolge und ohne Verzug. Danach holst du mir Herrn Salomon aus der Wechselstube. Und zu niemandem ein Wort, dass ich wieder da bin, ist das klar? Ich wünsche, nicht gestört zu werden.«
Domenico schnitt die hastig gestammelten Entschuldigungen mit einer Handbewegung ab und ging hinauf. Das Backsteinhaus war angenehm kühl. Es duftete nach frischem Brot und Honigwachs. Annehmlichkeiten, die er bisher für selbstverständlich gehalten hatte. Was ein Messerstich und eine Lehre als Fuhrknecht nicht alles veränderten.
Abraham ben Salomon erschien, während Domenico noch über seiner Mahlzeit saß und gleichzeitig die Nachrichten überflog, die in seiner Abwesenheit für das Bankhaus Contarini eingetroffen waren.
»Ihr wart lange unterwegs«, stellte Salomon nüchtern fest. »Es warten viele Entscheidungen auf Euch. Habt Ihr Euer Geschäft in Paris zu einem erfolgreichen Ende gebracht?«
»Dort schon«, entgegnete Domenico knapp. »Sagt Euch der Name Andrieu etwas?«
»Also wisst Ihr bereits davon.«
»Wovon?«
»Von Ruben Cornelis' Heirat.«
»Ruben Cornelis hat geheiratet? So schnell? Ich dachte, Anselm Korte hätte dieses rührende Familienfest zum Erntedank geplant.«
Salomon bedachte den Venezianer mit einem sparsamen Lächeln und registrierte die Veränderungen in seiner Erscheinung. Er hatte abgenommen und wirkte erschöpft. »Ersparen wir uns die Umwege«, sagte er. »Wenn Ihr nach einem Andrieu fragt, wisst Ihr, dass der junge Ruben eine Ehrendame der Herzogin
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