Die Stunde des Venezianers
Ritter geheiratet.«
Colard hörte zum ersten Mal von dieser Geschichte.
»Gesinde-Geschwätz. Mir ist nicht bekannt, dass die Cornelis' Verwandte außerhalb von Brügge haben.«
»Aber die Ähnlichkeit ist verblüffend. Weißt du, wo das Bild geblieben ist?«
»Nein.«
Colard log bewusst.
Joris akzeptierte die Abfuhr. Er beugte den grauen Kopf über sein Schreibpult und rührte die Tinte frisch auf. Mit dem Federmesserchen kratzte er einen unliebsamen Spritzer vom Blatt, ehe er die Liste fortsetzte.
Colard öffnete die eisernen Schlösser der Geldtruhe und tat das Gold hinein. Sobald Kapitän Ballard die Koralle seeklar gemacht hatte, wollte Ruben aufbrechen.
Das Schiff lag im Tiefwasserhafen von Sluis, und Colard zählte die Tage, bis es endlich auf seine wichtige Reise gehen konnte. Von den Reparaturarbeiten, die der Kapitän plötzlich für nötig hielt, war zuvor nie die Rede gewesen. Die Verzögerung machte ihn nervös, aber er hatte keine Möglichkeit einzugreifen. Ruben hatte das Schiff in Ballards Hände gegeben.
»Ich wünschte, Ruben wäre endlich unterwegs«, sagte er gereizt, als er die Schlüssel der Truhe in die abschließbare Lade an seinem Pult tat. »Je eher wir das Abkommen mit den Mönchen in der Tasche haben, desto schneller kann ich wieder ruhig schlafen.«
»Die Schwertklingen aus Damaskus sind vor zwei Tagen eingetroffen«, ging Joris auf das Gespräch ein. »Willst du deinen Plan mit den Rüstungen tatsächlich verwirklichen?«
»Natürlich. Ruben kümmert sich bereits darum«, nickte Colard.
»Weiß seine Mutter inzwischen von der geplanten Reise?«
»Das musst du schon ihn fragen.«
»Also nein. Sie wird ganz Brügge zum Zeugen ihres Unglücks machen, wenn Ruben zur See geht, und sie wird zu Hause ihre Launen an der jungen Frau auslassen. Sicher gibt sie ihr die Schuld an allem.«
»Wenn du keine anderen Sorgen hast«, spottete Colard, »werde ich mich verabschieden. Ich denke, es ist gut, wenn ich mich in der Tuchhalle sehen lasse und an der Waterhalle Interesse für die Ankunft der Flanderngaleeren zeige.«
»Schau bei Trina vorbei, vielleicht bessert das deine Laune«, rief ihm Joris nach, aber er erhielt keine Antwort. Dafür steckte wenig später Aimée den Kopf zur Tür herein. »Bleibt er lange fort?«
»Wenn er meinem Rat folgt und im Wollsack einkehrt, sicher. Ich würde es mir wünschen, er kann Aufmunterung vertragen.«
Aimée gab keinen Kommentar dazu ab. Sie wollte eine Auskunft von Joris, und der Umstand, dass sie ihn alleine antraf, kam ihr gut zupass.
»Was hat es mit den Flanderngaleeren auf sich?«, erkundigte sie sich.
»Bei den Flanderngaleeren handelt es sich um Schiffe, die im Frühsommer in Venedig zu einer langen Reise aufbrechen. Sie steuern das Adriatische Meer hinunter die größten Häfen an, passieren Korfu und Sizilien, ehe sie Neapel und die Insel Mallorca erreichen. Über die Berberküste rudern sie endlich an Spanien und Portugal vorbei nach Norden. Erst im Kanal zwischen England und Frankreich trennen sich die Schiffe der Flotte im späten Sommer. Die einen legen in englischen Häfen an, die anderen kommen nach Brügge.«
Aimée genügte die Erklärung nicht. »Was ist so Besonderes daran? Das tun andere Schiffe doch auch.«
»Die Flanderngaleeren treiben auf dieser Fahrt ausschließlich Handel mit allerfeinsten Luxusgütern. Bis sie nach Brügge kommen, sind ihre Laderäume mit allem gefüllt, was gut und teuer ist: Gewürze und Räucherwerk, kostbare Steine, hauchfeine Schleier und Stoffe, Zierrat aus exotischen Materialien, Elfenbeinschnitzereien, Silberzeug, feinste Öle, Orangenfrüchte, fremdländische Tiere und vieles mehr. Ihre Fahrt dauert fast einen ganzen Sommer, weil sie jeden Abend einen Hafen anlaufen müssen, damit sie nicht Beute der Seeräuber werden.«
»Und in Brügge werden diese Schätze verkauft.« Aimée eilte Joris in Gedanken voraus. »Gibt es genügend Abnehmer dafür?«
»Mehr als genug. Denkt nur an Euren Herzog, an die Höfe der Fürsten und die Häuser der reichen Patrizier. Die Galeeren werden von allen Händlern sehnsüchtig erwartet. Die große Glocke auf dem Belfried verkündet Jahr für Jahr ihre Ankunft wie ein Staatsereignis. Obwohl jedes Handelshaus, das etwas auf sich hält, seine Bestellung bereits im Vorjahr aufgegeben hat, haben die Schiffe immer noch genügend Neues und nie Gesehenes in ihren Laderäumen.«
»Ist das der Grund, warum sich Ruben seit Tagen mehr in Sluis aufhält als in
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