Die Stunde des Venezianers
ihre Gedanken.
Die Säume ihres Kleides gaben auf dem Holz des Bodens einen typischen schleppenden Ton dazu. Die Farbe ihres Kleides betonte heute besonders den Alabasterschimmer ihrer Haut.
Colards Gedanken schweiften vom Thema ab. Er ertappte sich immer öfter dabei.
Aimée hingegen hatte beschlossen, Colards Einwand zu ignorieren.
»Hört Ihr mir überhaupt zu?«, fragte sie stattdessen. »Es geht um die Preisgestaltung.«
»Natürlich. Ihr vertraut der Herzogin. Aber Vertrauen allein ist nicht genug, wenn man ein Handelshaus führen will.«
»Was wisst Ihr von den listini dei prezzi , mit denen die Kaufleute aus Lucca und Genua arbeiten? Joris hat mir erzählt, dass in Genua oder Venedig die Warenpreise festgelegt werden und sich die dortigen Kaufleute daran orientieren. Wenn es dergleichen auch für Luxuswaren geben sollte, könnte es eine große Hilfe sein.«
»Bisher hatten wir derlei Listen nicht nötig«, sagte er bedächtig.
Er hätte Aimée an den Lombarden verweisen können, der ihr mit Sicherheit Auskunft gegeben hätte, aber er dachte natürlich nicht daran, das vorzuschlagen. Der Mann stand ohnehin schon zu oft in seinem Kontor. Und es wäre blamabel, ihn womöglich einweihen zu müssen in die Verkaufspläne.
»Dann werde ich wohl oder übel Domenico Contarini fragen müssen«, kam Aimée ohne seine Hilfe zum selben Schluss. »Ich benötige seine Kurierverbindungen, um den Brief nach Dijon bringen zu lassen. Bei der Gelegenheit kann ich auch meinem Onkel schreiben. Es wird ihn freu en , beruhigende Nachrichten zu erhalten.«
»Habt Ihr keine Scheu, Contarini einzuweihen? Wenn er erfährt, welche Schätze wir der Herzogin verkaufen wollen, könnte er eigene Ansprüche anmelden. Wir dürfen nicht vergessen, dass sich unsere gesamten Schuldscheine in seiner Hand befinden.«
»Ihr traut ihm nicht? Hat er einen so schlechten Ruf?«
»Nein.« Er zögerte, aber dann siegte seine Ehrenhaftigkeit. »Sein Ruf ist makellos, aber ich würde trotzdem zur Vorsicht raten. Er arbeitet mit einem jüdischen Wucherer zusammen, und sein Einfluss ist in den vergangenen Jahren immer größer geworden.«
»Ach was«, winkte Aimée ab. »Lasst es gut sein, Colard. Ihr habt etwas gegen Contarini. Es spricht, und das wisst Ihr auch, alles dafür, dass er sich uns gegenüber nicht unehrenhaft und wortbrüchig zeigt. Er ist ein Mann, der Wort hält, glaubt mir.«
Colard erhob keinen weiteren Einspruch mehr. Es war nutzlos, gegen Aimées Pläne zu opponieren. Er nahm sich jedoch vor, Contarinis Einfluss in Grenzen zu halten. Stets im Hintergrund bleibend, aber nie von Aimées Seite weichend, wurde er dann Zeuge, wie der Lombarde die ausgewählten Stücke schätzte und ihre Preise mit Aimée festsetzte. Es war beeindruckend, über welche Kenntnisse er verfügte und mit welcher Sicherheit Aimée die Wertsachen zusammengestellt hatte.
»Margeriten für den Herzog?«, wunderte sich Contarini, als er den Wandteppich einschätzen sollte. »Habt Ihr keine Tapisserien mit kriegerischen Motiven? Ich bezweifle, dass diese Idylle sein Gefallen findet.«
»Es genügt, wenn er der Herzogin gefällt«, erwiderte Aimée bestimmt und ignorierte ein ironisches Aufblitzen in seinen Augen. »Wir werden für dieses Stück achthundertfünfzig Goldflorin ansetzen. Sie liebt die ländlichen Szenen, und Blumen entzücken sie. Es wird dem Herzog ein Anliegen sein, ihr diesen Wandteppich zu schenken.«
»Es ist eine prachtvolle Arbeit, aber der Preis ist mehr als prachtvoll. Warum sollte der Herzog ein Vermögen dafür ausgeben?«
»Weil er die Herzogin schätzt und liebt!«
Aimée hielt Contarinis Blick stand, ehe sie sorgsam den Preis des Wandteppichs auf ihrer Schreibtafel notierte. Colard sah nur das erneute ironische Lächeln, mit dem der Lombarde seine Zustimmung gab. Er ahnte, dass er sie gerne auf die Liebschaften des Herzogs hingewiesen hätte, über die alle Welt tratschte.
»Da Ihr den Geschmack der Herzogin kennt, will ich Euch nicht widersprechen«, hörte er ihn versöhnlich antworten. »Ihr werdet einen stolzen Gewinn erzielen, selbst wenn Ihr im nächsten Jahr nicht alles verkaufen werdet.«
»Im nächsten Jahr?« Aimée sah alarmiert auf. »So lange kann und will ich nicht warten.«
Contarini schüttelte den Kopf, und Colard ahnte, was er sagen wollte.
»Ihr habt keine andere Wahl. Der Herbst hat begonnen. Die letzten Handelszüge haben Brügge schon verlassen. Ihr könnt die kostbaren Waren nur im Schutze eines gut
Weitere Kostenlose Bücher