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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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geschuldeten Zinses zu übergeben. Gewährt mir fünf Jahre Zeit. Bis dahin werde ich die Schulden ablösen, oder das Handelshaus geht endgültig in Euren Besitz über.«
    »Das ist Wahnsinn!«
    »Du wiederholst dich, Colard.«
    »Ich denke, ich sollte es Euch versuchen lassen, Aimée Cornelis.«
    Aimée glaubte, Contarinis Antwort nicht richtig verstanden zu haben. Sie hatte gekämpft, aber mit wenig Hoffnung auf Erfolg. Jetzt ließ ihre Verspannung, die sie bisher nicht wahrgenommen hatte, nur langsam nach, und bevor sie sich noch des Gefühles der Erleichterung bewusst wurde, hatte sie Contarini beide Hände entgegengehalten. Als er sie mit festem Griff umfing, erschrak sie. Sie wollte sich von ihm lösen, aber er ließ es nicht zu.
    »Ihr sollt Eure fünf Jahre haben, Aimée Cornelis, und einen korrekten Zinssatz dazu. Ich werde von Abraham hören, wie Ihr zurechtkommt. Gott schütze Euch und Eure Geschäfte.«
    Jetzt war es Aimée, die seine Hände festhielt. Es gab ihr den Halt, Dank sagen zu können, ohne den Tränen freien Lauf lassen zu müssen.
    »Habt allen Dank der Welt.« Ihre Stimme blieb fest. »Ihr seid mir ein Beschützer, wie ihn mein Onkel nicht besser hätte aussuchen können. Glück und Segen wünsche ich Euch und Eurer zukünftigen Frau. Sagt auch ihr, ich werde nie vergessen, was Ihr für mich getan habt.«
    Er befreite seine Hände, erwiderte ihren direkten Blick und verneigte sich. Sachlich verabschiedete er sich. »Abraham ben Salomon wird die Papiere dieser Abmachung in Brügge für Euch ausfertigen. Ich werde ihm Bescheid geben, dass er am Dreikönigstag des nächsten Jahres nur den halben Zinssatz erhält. Die andere Hälfte investiert klug, mehr Kapital habt Ihr nicht, um Euren Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Lebt wohl.«
    Colard hatte sich in der Zwischenzeit von seinem Entsetzen erholt. Aimée richtete sich auf. Jeder Zoll eine Handelsherrin.
    »Sobald sich eine Gelegenheit findet, dass wir uns einer Reisegruppe nach Flandern anschließen können, werden wir nach Hause aufbrechen. Bitte hör dich um, Colard. Ich möchte keine Zeit verlieren. Die Ochsenfuhrwerke mit den Waren können uns folgen, sobald die Straßen wieder besser befahrbar sind. Maître Ballain wird das für uns organisieren.«
    »Das ist deine Stunde, Aimée«, sagte er.
    »Nein, Colard«, erwiderte sie. »Wir sollten diese Stunde dennoch nie vergessen. Es ist die Stunde des Venezianers.«

 
Zweites Buch
    Die Stunde des Venezianers

30. Kapitel
    B RÜGGE , 12. J UNI 1372
    Aimée versuchte den Rosenduft zu verdrängen, aber es wollte ihr nicht gelingen. Vor jedem Haus des Beginenhofes vom Weingarten blühte ein Strauch in verschwenderischer Fülle. Im Garten der Schwester Apothekerin gediehen sogar Rosensorten aus Spanien, Florenz und dem fernen Orient.
    Es fiel ihr zunehmend schwerer, sich auf das Gespräch mit Mutter Philippa, der Oberin des Beginenhofes, zu konzentrieren. Sie hatte ihr ein unscheinbares Päckchen überreicht, dessen Inhalt die Begine genau prüfte.
    »Nähnadeln von dieser Art habe ich noch nie gesehen, meine Liebe. Woher habt Ihr sie?«, fragte Mutter Philippa und begutachtete die erstaunlichen Exemplare von allen Seiten. »Sie sind vollendet rund, ohne jegliche Kanten wie sonst üblich.«
    »Bisher wurden die besten Sticknadeln aus Kupfer gehämmert. Diese hier sind aus einer besonderen Art von Stahldraht gezogen. Im deutschen Nürnberg haben findige Handwerksmeister eine Möglichkeit gefunden, ihn kantenlos zu ziehen. Er muss dann nur noch mit einer Spitze und einer ausreichend großen Öse für den Faden versehen werden. Mein Gewährsmann versichert mir, dass man mit diesen Nadeln wesentlich feinere Stiche setzen und präziser arbeiten kann. Ich habe ein ganzes Päckchen davon für Euch mitgebracht.«
    »Wir wissen es zu schätzen, dass Ihr so wohlwollend an den Weingarten denkt, wenn Ihr Waren erhaltet«, sagte Mutter Philippa dankbar. »Ich habe ebenfalls eine Überraschung für Euch.«
    Sie führte Aimée in ein Gemeinschaftshaus, in dessen heller Stube mehrere Beginen über Stickarbeiten saßen, während eine von ihnen aus der Heiligen Schrift vorlas. Sie alle arbeiteten ausschließlich für das Handelshaus Cornelis. Sie fertigten Stickereien an, die den Originalen des Opus Anglicanum immer ähnlicher wurden.
    Inzwischen erzielte Aimée erstaunliche Preise dafür. In erster Linie stellten die Stickereien Motive aus der Heiligen Schrift dar. Was sie jetzt indes aus den Händen einer

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